Umfang des Anwaltsgeheimnisses bei internen Untersuchungen
In Entsiegelungsverfahren stellt sich immer wieder die Frage, welche Informationen dem anwaltlichen Berufsgeheimnis unterstellt sind. Nach Lehre und Praxis nicht geschützt ist die sogenannte (akzessorische) anwaltliche “Geschäftstätigkeit”.
Dazu zählt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (zuletzt BGer 1B_85/2016 vom 20.09.2016 mit zahlreichen Hinweisen)
insbesondere die Geschäftsführung bzw. Verwaltung einer Gesellschaft oder die Vermögensverwaltung. Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung ist, ob bei den fraglichen Dienstleistungen die kaufmännisch-operativen oder die anwaltsspezifischen Elemente objektiv überwiegen (E. 4.2).
Im zitierten Entscheid stellte sich die Frage, wie es sich mit eigentlichen “Bankencompliance-Aufgaben” bzw. die interne Aufsicht darüber (Controlling/Auditing) verhält, wenn sie an eine Anwaltskanzlei delegiert werden. So definierte das Bundesgericht die Fragestellung, die die Antwort ja eigentlich bereits enthält und zunächst wie folgt artikuliert wird:
Falls eine Bank ihre eigenen gesetzlichen Compliance- und Controlling-Aufgaben sowie die damit verbundene Pflicht, verdächtige Geschäftsabläufe sachgerecht zu dokumentieren (Art. 7 Abs. 1-2 GwG), an eine Anwaltskanzlei delegiert, kann sie sich im Falle von strafrechtlichen Untersuchungen diesbezüglich nicht integral auf das anwaltliche Berufsgeheimnis berufen. Anders zu entscheiden hiesse, dass die Bestimmungen des GwG unterlaufen werden könnten, indem die Bank ihre gesetzlichen Compliance-, Controlling- und Dokumentationsaufgaben weder selber vollständig wahrnimmt, noch an ein spezialisiertes externes Wirtschaftsprüfungsunternehmen delegiert, sondern an eine Anwaltskanzlei überträgt (E. 6.6).
Das Bundesgericht setzte sich in E. 7 einlässlich mit den Argumenten der Beschwerdeführerinnen auseinander. Es bezeichnet die Tätigkeit der Anwaltskanzlei als interne Untersuchung und verwirft etwa bei der Befragung von Mitarbeitern auch die Berufung auf “nemo tenetur”:
Der “nemo tenetur”-Grundsatz (strafprozessuales Verbot des Selbstbelastungszwangs) stellt im vorliegenden Fall ebenfalls kein Entsiegelungshindernis dar, zumal die Aussagen der Bankmitarbeitenden (gegenüber den sie befragenden Anwälten) nicht unter Strafdrohung oder anderem behördlichen Zwang erfolgten (vgl. BGE 1B_249/2015, E. 8). Beschuldigte Personen haben zwar ein Aussage- und Editionsverweigerungsrecht, weshalb sie nicht zu Beweisaussagen oder zur Edition von Beweisunterlagen behördlich gezwungen werden dürfen. Gesetzlich zulässige Zwangsmassnahmen, namentlich Beweismittelbeschlagnahmungen und Entsiegelungen, haben auch Beschuldigte jedoch in den Schranken der Rechtsordnung zu erdulden (Art. 113 Abs. 1 Satz 3 i.V.m Art. 197 und Art. 264 Abs. 1 lit. a-d StPO; vgl. BGE 1B_249/2015, E. 9.4) [E. 7.9].
Ich bin gespannt, wie dieser Entscheid in der “Compliance-Szene” aufgenommen wird. Dabei wird aber wohl zu beachten sein, dass es sich die Beschwerdeführerinnen vielleicht zu einfach gemacht haben, indem sie sich integral auf das Berufsgeheimnis stützten. Möglicherweise wären sie durchgedrungen, wenn sie ihre Obliegenheiten erfüllt hätten:
Der Schlussfolgerung der Beschwerdeführerinnen, wonach eine umfassende bankinterne Controlling- und Untersuchungstätigkeit zum “Kerngehalt des geschützten anwaltlichen Verkehrs” gehöre und alle diesbezüglichen Unterlagen “integral” dem Anwaltsgeheimnis unterlägen, kann hingegen nicht gefolgt werden. Zudem obliegt es den Beschwerdeführerinnen, die von ihnen angerufenen Entsiegelungshindernisse – namentlich die Siegelung von Unterlagen aus anwaltlichen Rechtsberatungsmandaten – ausreichend zu substanziieren (vgl. BGE 141 IV 77 E. 4.3 S. 81; 138 IV 225 E. 7.1 S. 229) [E. 7.3].
Kein Kommentar von mir, sondern ein Beitrag in der heutigen NZZ:
https://epaper.nzz.ch/#article/6/Neue%20Zürcher%20Zeitung/2016-10-27/9/200006909
Vielen Dank für den Beitrag. Was meinen Sie, was wäre denn ihre Obliegenheit gewesen?
Die einzelnen Dokumente bezeichnen, die dem Berufsgeheimnis unterstellt sein sollen.