Umfassende schweizerische Gerichtsbarkeit

Das Strafbedürfnis des schweizerischen Rechtsstaats kennt praktisch keine Grenzen, auch nicht in territorialer Hinsicht. Das Bundesgericht hat dabei auch schon auf das Problem der negativen Kompetenzkonflikte hingewiesen, die es zu vermeiden gelte, und zwar eben – durch wen sonst? – durch die schweizerischen Strafbehörden  (BGE 133 IV 171 E. 6.3).

In einem neuen, zur Publikation in der AS vorgesehenen Fall, in dem selbst das nicht gerade als beschuldigtenfreundlich geltende Obergericht des Kantons Aargau keine Zuständigkeit gefunden hatte, begründet das Bundesgericht die Zuständigkeit bei Unterlassungsdelikten:

Beim Unterlassungsdelikt liegt der Handlungsort dort, wo der Täter handeln müsste (BGE 125 IV 14 E. 2c/aa). Ist die strafrechtlich gebotene Handlung nicht an einen bestimmten Ort gebunden, ist der Handlungsort jeder bis zu diesem Zeitpunkt faktisch gewählte, vorübergehende Aufenthaltsort des Unterlassungstäters (Urteil 6B_123/2014 vom 2. Dezember 2014 E. 2.3 [nicht publ. in BGE 141 IV 10], mit weiteren Hinweisen) [E. 5.2, Hervorhebungen durch mich].

Im Falle der Entziehung von Unmündigen führt das faktisch wohl zur unbegrenzten Zuständigkeit, wenn ein Inhaber der elterlichen Sorge in der Schweiz lebt:

Da der Beschwerdeführer 2 dem Verbleiben des Kindes in der Ukraine nicht zugestimmt und er seinen Wohnsitz in der Schweiz hatte, hätte die Beschwerdegegnerin den gemeinsamen Sohn in die Schweiz zurückbringen müssen. Damit besteht bezüglich des Tatbestands des Entziehens eines Unmündigen ein schweizerischer Begehungsort im Sinne von Art. 8 Abs. 1 StGB (Urteil 6B_123/2014 vom 2. Dezember 2014 E. 2.4 [nicht publ. in BGE 141 IV 10]; BGE 125 IV 14 E. 2c/cc S. 17). Dies gilt umsomehr, als sich auch die Beschwerdegegnerin Ende des Jahres 2010, als sie ihre Mutter angewiesen hatte, den Sohn dem Beschwerdeführer 2 nicht herauszugeben, in der Schweiz weilte (E. 5.3.1).

Ebenfalls bundesrechtswidrig entschied die Vorinstanz in Bezug auf die Strafantragsfrist:

Die Antragsfrist beginnt bei der Tatvariante der „Weigerung der Rückgabe“ von Art. 220 StGB mithin erst ab dem Zeitpunkt, in welchem der rechtswidrige Zustand beendet wird (…). Da der Antrag indes auch auf die auf den Antrag folgende spätere deliktische Tätigkeit weiterwirkt, liegt im zu beurteilenden Fall auch für die Zeit nach dem 11. Oktober 2011 ein gültiger Strafantrag vor. Daran ändert nichts, dass die Beschwerdegegnerin mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach vom 11. Oktober 2011 für den Zeitraum 1. Januar bis 11. Oktober 2011 des Entziehens von Unmündigen schuldig erklärt und zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt wurde (Sachverhaltsakten act. 397). Für die von dieser Verurteilung erfasste Dauer des Delikts verbietet der Grundsatz „ne bis in idem“ in einem späteren Verfahren indes eine erneute Bestrafung (BGE 135 IV 6 E. 3.2) [E. 6.4].