Umgehung verfassungsrechtlicher Garantien

Das Strafverfahrensrecht ist voller mühsamer Rechtsgarantien zugunsten der Beschuldigten, die es im Sinne der zuverlässigen Wahrheitsfindung zu umgehen gilt. Dazu immer wieder geeignet sind vorgelagerte Verwaltungsverfahren. In diesen können die nötigen Beweis ausserhalb des Strafverfahrensrechts erhoben werden und dann in die Akten des später zu eröffnenden Strafverfahrens übernommen werden.

Dies könnte einem Strafgefangenen zum Verhältnis werden, der während des Vollzugs unbefugt das Internet benützt hat und sich dabei strafbar gemacht. Er hat erfolglos versucht, die in Umgehung von nemo tenetur erhobenen Beweise aus den Akten weisen zu lassen. Das Bundesgericht tritt auf die entsprechende Beschwerde mangels nicht wieder gutzumachenden Nachteils nicht ein, womit es wichtige Fragen offen lassen konnte und sich letztlich darauf beschränkte, den Fall für Strassburg wasserdicht zu machen (BGer 1B_439/2015 vom 20.01.2016):

Der nemo tenetur -Grundsatz erstreckt sich aber nicht auf die Verwertung von Tatsachen, die zwar gegen den Willen der beschuldigten Person erlangt werden, jedoch hiervon unabhängig existieren, wie etwa im Rahmen einer Hausdurchsuchung beschlagnahmte Gegenstände (vgl. EGMR-Urteil Saunders gegen Grossbritannien vom 17. Dezember 1996 [Nr. 19187/91] § 69). Ebenso wenig hat der EMGR einen Verstoss gegen Art. 6 EMRK angenommen, wenn im Zeitpunkt der Anwendung von Zwang oder Druck zur Erlangung von Informationen ein Strafverfahren weder anhängig noch beabsichtigt war (vgl. EGMR-Urteile Weh gegen Österreich vom 8. April 2004 [Nr. 38544/97] § 50; Marttinen gegen Finnland vom 21. April 2009 [Nr. 19235/03] § 69). Ob im hier zu beurteilenden Fall anlässlich der Anhörung des Beschwerdeführers durch die Justizvollzugsbehörden tatsächlich bereits absehbar war, dass ein Strafverfahren eingeleitet werden muss, kann dahingestellt bleiben. Für das Bundesgericht massgeblich ist, dass in Anwendung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK keine “improper compulsion” (“coercition abusive”), d.h. keine missbräuchlich bzw. unverhältnismässig ausgeübte Form von Zwang angewendet wurde (BGE 140 II 384 E. 3.3.2 S. 391 und E. 3.3.5 S. 393 f. mit Hinweisen). Vorliegend scheint es nicht dazu gekommen zu sein, da die Anhörungen nach den nachvollziehbaren Erwägungen der Vorinstanz der Gewährung des rechtlichen Gehörs im Disziplinarverfahren dienten, in denen der Beschwerdeführer nicht zur Aussage gezwungen wurde (E. 2.5.2).

So einfach ist das.