Unanständiger Verteidiger
Ein Einzelrichter am Bundesstrafgericht, Strafkammer, hat in einem aufwändig begründeten Entscheid eine Ordnungsbusse (Art. 64 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 205 Abs. 4 StPO) gegen einen Beschuldigten ausgesprochen, der – nach Rückzug seiner Einsprache gegen einen Strafbefehl – nicht zur Hauptverhandlung erschienen ist (BStGer SK.2016.20 vom 03.03.2017).
Der Entscheid befasst sich aber primär mit dem Verhalten des Verteidigers, das in mehrfacher Hinsicht standeswidrig sein könne. Die Verfügung wird daher auch der zuständigen Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte zur Prüfung disziplinarischer Massnahmen gegen den Verteidiger zugestellt.
Es geht mir hier nicht darum, den Kollegen zu verteidigen, aber der Entscheid des Einzelrichters und der damit verbundene Aufwand ist bemerkenswert. Er enthält Spekulationen über Berufsgeheimnisverletzungen, Interessenverletzungen und Honorarreiterei, die zumindest als gewagt erscheinen.
Der Einzelrichter scheint in seiner spürbaren Erregung aber auch Mühe mit dem Berufsrecht zu haben. Die Aufsichtsbehörde befasst sich nicht mit den gerügten Verletzungen des Standesrechts und dem fehlenden Anstand des Anwalts. Das Standesrecht geben sich die Anwälte selbst. Was ihnen gegeben wird und was die Aufsichtsbehörde interessiert, sind die Berufsregeln und die stehen im BGFA.
Danke übrigens für den Hinweis auf den Entscheid, @martinsteiger.
Es würde mich noch interessieren, ob der Entscheid weitergezogen wurde. Gegebenenfalls dürfte man gespannt sein, auf wievielen Seiten sich dann das Bundesgericht über eine Ordnunsbusse von CHF 100.00 auslässt.
Der Entscheid wurde offensichtlich von beiden Betroffenen an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts weitergezogen, welches auf die Beschwerden nicht eingetreten ist. Mit welcher Begründung, weiss man nicht. Die Entscheide BB.2017.54 und .55 sind nicht veröffentlicht worden. Die Möglichkeit einer Beschwerde an das Bundesgericht besteht meines Wissens nicht (Art. 79 BGG).
Man(n) glaubt es kaum. Irgendwie ist die Reaktion des Einzelrichters für mich nachvollziehbar, auch wenn nur ein Teil stimmen sollte.
Es sieht schon so aus, als habe der Verteidiger den Bogen überspannt. Aber manchmal muss man sogar unanständig sein, wenn es im Interesse des Klienten liegt. Was mir hier aber nicht einleuchtet ist, dass nach dem Rückzug der Einsprache am Verhandlungstermin festgehalten wurde. Da wäre ich nach einer höflichen Mitteilung wohl auch nicht ins Tessin gereist. Es gehört sich übrigens auch nicht, private Verteidiger „vorzuladen“. Es gibt m.W. keine Zwangsmassnahmen gegen Strafverteidiger.
Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts ist entgegen anderslautender Information auf die Beschwerde des Gebüssten eingetreten und hat die Ordnungsbusse mit Beschluss vom 18. Juli 2017 aufgehoben (BB.2017.54). Der Entscheid kann – wie alle Endentscheide des Bundesstrafgerichts – auf dem Netz konsultiert werden.