Unbegründete Verlängerung der Sicherheitshaft um ein halbes Jahr
Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind in der Schweiz fast schon derart selbstverständlich, dass man gar nicht mehr daran denkt, eine Haftverlängerung begründen zu müssen. Das Bundesgericht stellt die fehlende Begründung in einem Fall aus dem Kanton Zürich fest. Es entlässt aber den Beschwerdeführer auf seine Laienbeschwerde hin nicht etwa aus der Sicherheitshaft, sondern kürzt die Verlängerung von sechs auf drei Monate (BGer 1B_357/2020 vom 22.07.2020):
Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich wegen einer versuchten schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 26 Monaten verurteilt. Der Fall bietet weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten, und es sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, die gegen eine Beurteilung der Berufung innert 3 Monaten sprechen. Im Übrigen kann weder dem angefochtenen Entscheid noch dem Entscheid des Bezirksgerichts vom 11. Juni 2020 eine Begründung für die Haftverlängerung um 6 Monate entnommen werden (E. 3.3).
Nach dem Gesagten erweist sich die angeordnete Verlängerung der Sicherheitshaft um 6 Monate als rechtswidrig. Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Beschluss aufzuheben, soweit die Vorinstanz die Sicherheitshaft bis zum 11. Dezember 2020 genehmigt hat. Die Verlängerung der Sicherheitshaft wird für 3 Monate, d.h. bis vorerst zum 11. September 2020, bewilligt, längstens aber bis zur Eröffnung des Urteils des Berufungsgerichts (E. 3.4)..
Damit bleibt die Haft ohne jede Begründung, aber höchstrichterlich abgesegnet. Der Beschwerdeführer muss notwendig verteidigt sein. Sein notwendiger Verteidiger kann ihn ja dann vor dem EGMR vertreten.
Vor Obergericht war der Mann noch durch seinen – notwendigen – Verteidiger vertreten. Für eine Beschwerde ans Bundesgericht hatte dieser aber offenbar „kei Luscht“, so dass sich der Mann selber behelfen musste. Genau gleich übrigens wie im vorgelagerten Fall 1B_309/2020. Aber eben, vielleicht besteht dann wieder Lust auf eine Beschwerde an den EGMR, wobei eine solche recht anspruchsvoll ist. Kleiner Wermutstropfen: Ein Urteil lässt manchmal Jahre auf sich warten.
Kurze, knackige Begründungen, wie das BGer sie sich erlauben kann, lassen es nicht zu, dass ein Satz ohne seinen Kontext gelesen werden kann. “Damit bleibt die Haft ohne jede Begründung” stimmt so ja gemäss den Erwägungen nicht. Wiederholungsgefahr und Tatverdacht sind offenbar aufgeführt. Nur die Begründung, weshalb über 3 Monate gegangen wird, fehlt.
Vier Monate Haft ohne Begründung trotz amtlicher Verteidigung gibts nur im Kt. BS, zumindest laut “Medien”.
OK, so kann man es auch lesen. Bezüglich Haftgrund verweist das BGer aber nur auf seinen früheren Entscheid, nicht auf die Erwägungen der Vorinstanz. Aber vielleicht hat ja die Vorinstanz auch auf den früheren BGer-Entscheid verwiesen, der ja ziemlich aktuell ist. Whatever.