Unberechenbare Strafjustiz

Zwei zur Publikation in der AS vorgesehene Urteile des Bundesgerichts (BGE 6B_978/2014 und 6B_988/2014 vom 23.06.2015) zeigen eindrücklich, wie unberechenbar Strafverfahren sein können. Den Urteilen liegt der offenbar illegale Abbruch eines Einfamilienhauses durch den Gesamteigentümer X. zugrunde.

X. wurde durch alle Instanzen verurteilt (Sachbeschädigung und Übertretung des Baugesetzes). Bei ihm sowie bei den anderen Gesamteigentümer, die strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht wurden, zog die Justiz Ersatzforderungen nach dem Bruttoprinzip ein.

Zur Unberechenbarkeit hier das Wechselbad der Gefühle, durch das X. zu gehen hatte:

  • Statthalter: bedingte Geldstrafe 20 Tagessätze, Busse CHF 30,000.00, Ersatzf0rderung  CHF 596,850.00 (Einziehung bei den übrigen Gesamteigentümern CHF 1,241,448.00, CHF 358,110.00, bzw. CHF 190,992.00)
  • Bezirksgericht: bedingte Geldstrafe 20 Tagessätze, Ersatzforderung CHF 132,500.00 (wegen Verjährung keine Einziehung bei den übrigen Gesamteigentümern);
  • Kantonsgericht: bedingte Geldstrafe 20 Tagessätze, Busse CHF 30,000.00, Ersatzforderung CHF 132,500.00, CHF 275,600.00, CHF 79,500.00 bzw. CHF 42,400.00 (wohl in solidarischer Haftung mit den anderen Gesamteigentümern?).

Die Urteile gegen X. leuchten mir nicht ein. Er wird u.a. wegen Sachbeschädigung verurteilt, weil er eine Alarmsirene auf dem Dach des später abgerissenen Hauses abmontiert hat. Der Strafbefehl des Statthalters wurde als die Verjährung beendendes Urteil qualifiziert  und ein wirksamer Strafantrag bezüglich Sachbeschädigung lag vielleicht auch nicht vor (das Bundesgericht begnügt sich mit Willkürkognition).

Wieso die beiden Urteile publiziert werden sollen, ist mir nicht klar. Wahrscheinlich geht es darum, dass – wie bisher – nicht zwingend das Bruttoprinzip zur Anwendung kommen muss und dass der Grundsatz, dass sich Straftaten nicht lohnen sollen, auch auf Nichtschuldige anzuwenden ist. Das Bundesgericht konstruiert den Ausweg aber über den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, und zwar ohne im Einzelnen zu definieren, was denn die Verhältnismässigkeitskriterien sein sollen.