Und die Kosten trägt …
… der Anwalt, jedenfalls teilweise, jedenfalls wenn es nach dem Obergericht OW gehen würde. Das Bundesgericht zieht hier aber die Notbremse und heisst die Beschwerde des Anwalts gut (BGer 6B_181/2023 vom 16.05.2024, Fünferbesetzung).
Sein angeblich kostenpflichtiges Verhalten bestand darin, dass er am Tag vor der Berufungsverhandlung den Umfang der Berufung stark eingeschränkt habe:
[Die Vorinstanz] hält fest, [der Anwalt] habe erst einen Tag vor der Berufungsverhandlung über den Rückzug eines Grossteils der Berufungsanträge informiert. Ein solches Vorgehen sei zwar nicht rechtswidrig, da der Rückzug bis zum Abschluss der Parteiverhandlungen möglich sei. Doch könnten unnötige Kosten auch ohne Verschulden dem Verursacher auferlegt werden [Kausalhaftung?]. Die Berufung sei bereits am 25. Mai 2021 erhoben worden, womit der Beschwerdeführer über 17 Monate Zeit gehabt habe, mit dem Verurteilten die Verteidigungstaktik zu besprechen. Gemäss Kostennote habe sich der Beschwerdeführer letztmals am 26. Oktober 2022 mit dem Verurteilten besprochen [Die Kostennote als Beweismittel, und zwar gegen ihren Ersteller?]. Daher sei davon auszugehen, dass er spätestens zu diesem Zeitpunkt mit dem Verurteilten verabredet habe, die meisten Berufungsanträge zurückzuziehen. Dennoch sei der Rückzug erst einen Tag vor der Berufungsverhandlung erfolgt, als ein Grossteil der Arbeit für die Beurteilung der Berufungsanträge bereits erledigt gewesen sei. Namentlich habe die Vorinstanz zwei Auskunftspersonen vorgeladen und die Befragung des Verurteilten und der Auskunftspersonen vorbereitet. Damit sei ein erheblicher Teil der Kosten des Berufungsverfahrens unnötig verursacht worden (E. 2.2, Hervorhebungen und Klammerbemerkungen durch mich).
Dass das Bundesgericht die Beschwerde gutgeheissen hat, ist angesichts der Besetzung nicht ganz selbstverständlich:
Als schwere Pflichtverletzung fällt nur sachlich nicht vertretbares bzw. offensichtlich fehlerhaftes Prozessverhalten der Verteidigung in Betracht (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK; BGE 143 I 284 E. 2.2.2; 138 IV 161 E. 2.4; 126 I 194 E. 3d; Urteil 6B_1079/2022 vom 8. Februar 2023 E. 1.3 mit Hinweisen). Entsprechendes muss mit Bezug auf die Kostenauflage an den Rechtsvertreter gelten, zumal diese nur in Extremfällen in Frage kommt (vgl. oben 2.1). Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beschwerdeführer mit dem Rückzug eines Grossteils der Berufung bis zum Vortag der Verhandlung vom 3. November 2022 zugewartet hat, obwohl die letzte Besprechung mit seinem Klienten bereits am 26. Oktober 2022 stattgefunden hatte. Es kann nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer damit in besonders krasser Weise gegen Verfahrenspflichten verstossen hätte, was ausnahmsweise eine Kostenauflage an ihn rechtfertigen würde. Dies muss umso mehr gelten, als es der beschuldigten Person zu jenem Zeitpunkt auch freigestanden hätte, die Berufung ohne Begründung ganz zurückzuziehen (E. 2.3).
Und am Schluss noch ein kleines Zitat mit grosser Sprengkraft:
Obschon in Art. 105 StPO nicht ausdrücklich erwähnt, haben auch Rechtsbeistände oder andere Personen, die als Vertreter einer Partei am Strafverfahren teilnehmen, als verfahrensbeteiligte Personen im Sinne von Art. 417 StPO zu gelten (E. 2.1).
Dennoch sei der Rückzug erst einen Tag vor der Berufungsverhandlung erfolgt, als ein Grossteil der Arbeit für die Beurteilung der Berufungsanträge bereits erledigt gewesen sei.
Oh mei, hatte der Gerichtsschreiber die Urteilsbegründung schon geschrieben, das Gericht demaskiert den Prozess damit als Laientheater.
[quote]Obschon in Art. 105 StPO nicht ausdrücklich erwähnt, haben auch Rechtsbeistände oder andere Personen, die als Vertreter einer Partei am Strafverfahren teilnehmen, als verfahrensbeteiligte Personen im Sinne von Art. 417 StPO zu gelten (E. 2.1).[/quote]
Das ergibt keinen Sinn. Wenn ich einen Anwalt beauftrage, muss ich mir seine Fehler anrechnen lassen (z.B. eine versäumte Frist). Das bedeutet also auch, dass ich die Kosten tragen muss, wenn der Anwalt gemäss Art. 417 StPO als Verfahrensbeteiligter gilt und im Prozess Kosten verursacht hat.
Hat der Anwalt in einem solchen Fall auch die sonstigen Rechte, die Verfahrensbeteiligten zustehen?
Was passiert, wenn der Anwalt zu Beginn des Prozesses beauftragt wurde, später jedoch ersetzt wurde? Der alte Anwalt ist dann aktuell nicht mehr mein Rechtsbeistand, aber gemäss der Rechtsprechung dennoch als Verfahrensbeteiligter anzusehen? Kann man ihm Kosten auferlegen, die er in der Vergangenheit verursacht hat, obwohl er nicht mehr mein Rechtsbeistand ist? Hat der ehemalige Anwalt dann auch andere Rechte, die Verfahrensbeteiligten zustehen?
Das ergibt einfach keinen Sinn… Ich nehme an, das liegt wohl daran, dass mir eine rechtswissenschaftliche Ausbildung fehlt.
@Laie: Es liegt wohl eher daran, dass Sie geradeaus denken und nicht ergebnisorientiert.
… und wieder einmal OW mit einem fragwürdigen Entscheid. Das Obergericht OW scheint ein Qualitätsproblem zu haben. Vgl. schon den Beitrag “Obergericht OW” auf Abwegen https://www.strafprozess.ch/obergericht-ow-auf-abwegen/ oder diese Entscheide: https://www.strafprozess.ch/anwalt-vs-richter-in-obwalden/ https://www.strafprozess.ch/rechtsverweigerung-in-obwalden/ und https://www.strafprozess.ch/das-obergericht-in-der-selbst-gestellten-prozessfalle/