Unentschlossenes Bundesgericht (Rechtsmittel gegen Entsiegelungsentscheide)
Das Bundesgericht befasst sich in BGer 1B_492/2011 vom 02.02.2012 erneut mit einer Beschwerde gegen einen ZMG-Entsiegelungsentscheid. Es lässt weiterhin (s. dazu einen früheren Beitrag) offen, ob ein solcher Entscheid, der mit StPO-Beschwerde nicht anfechtbar ist, an das Bundesgericht weitergezogen werden kann; offen, weil die Beschwerde ohnehin abzuweisen war.
Die Gründe, die zur Abweisung führten, könnten mit etwas bösem Willen als Kapitulation des Rechtsstaats vor fishing expeditions verstanden werden. Wenn eine Unzahl von Gegenständen und Dokumenten beschlagnahmt und versiegelt wird, wird von den Betroffenen im Entsiegelungsverfahren (quasi als Strafe für die veranlasste Siegelung?) eine qualifizierte Begründungspflicht verlangt, die schlicht nicht erfüllt werden kann. Von den Behörden, die ohne den entsprechenden Fristendruck entscheiden können, wird eine umfassende Prüfung und Begründung aus dem selben Grund nicht verlangt. Vielmehr wird in Kauf genommen, dass sogar absolut geschützte Geheimnisse offenbart werden.
6.1 Aus den Vorbringen des Beschwerdeführers und den vorliegenden Akten lässt sich nicht ableiten, dass das Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsverfahren auf bundesrechtswidrige Weise durchgeführt hätte. Gemäss der dargelegten Rechtsprechung hat eine detaillierte (dokumentenbezogene) Einzeltriage durch den Entsiegelungsrichter nur zu erfolgen, soweit betroffene Inhaber, welche die Versiegelung verlangt haben, substanziierte Einwände gegen die Entsiegelung und Durchsuchung von konkreten sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen erheben. Dabei handelt es sich um eine prozessuale Obliegenheit der rechtsuchenden Partei, besonders bei umfangreichen Datenmengen (BGE 137 IV 189 E. 4.3 S. 195 mit Hinweisen, E. 5.1.2 S. 197, E. 5.3.1-5.3.3 S. 198 f.). Sowohl im Entsiegelungsverfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht als auch im Rechtsmittelverfahren vor Bundesgericht erhielt der Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit, solche substanziierten Einwendungen (betreffend Geheimnisschutz bzw. Untersuchungsrelevanz) zu erheben.
6.2 Die vom Beschwerdeführer beanstandete Erwägung der Vorinstanz, wonach der Entsiegelungsrichter (jedenfalls bei umfangreichem Datenmaterial wie hier) nicht bei jedem einzelnen versiegelten Gegenstand von Amtes wegen zu prüfen habe, inwiefern dieser für die Untersuchung relevant sein könnte, steht nach dem Gesagten im Einklang mit der bundesgerichtlichen Praxis und mit Art. 248 StPO. Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), des Privat- und Familienlebens (Art. 13 BV und Art. 8 EMRK) oder des Willkürverbots (Art. 9 BV) ist im vorliegenden Zusammenhang nicht ersichtlich. Zwar macht der Beschwerdeführer pauschal geltend, es seien auch ihm gehörende private Akten mit “höchstpersönlichem Inhalt” sowie Anwaltskorrespondenz betroffen. Er legt jedoch (auch vor Bundesgericht) weiterhin nicht substanziiert dar, um welche konkreten versiegelten Dokumente es sich dabei handeln würde und inwiefern geschützte private Geheimnisinteressen tangiert wären, die dem Interesse an der Aufklärung der untersuchten Delikte vorgingen. Ebenso wenig führt er aus, welche sichergestellten Gegenstände für die Strafuntersuchung offensichtlich unerheblich seien. Dass im Entsiegelungsgesuch nicht ausdrücklich auf sämtliche involvierten Firmen und Gesellschaften Bezug genommen worden sei, von denen sich Schriftstücke in den versiegelten Akten befinden, lässt die fraglichen Unterlagen nicht ohne Weiteres als irrelevant und die Entsiegelung nicht als unverhältnismässig erscheinen (vgl. BGE 137 IV 189 E. 4.3 S. 195 mit Hinweisen, E. 5.1.2 S. 197, E. 5.3.1-5.3.3 S. 198 f.).
Lehre daraus: Beschlagnahmebefehle anfechten und für jeden beschlagnahmten Gegenstand begründen, wieso er nicht beschlagnahmefähig oder -würdig ist. Die Beschwerdefrist von 10 Tagen ist ja grosszügig bemessen und man hat ja sonst nichts zu tun.
Hinweisen möchte ich noch auf eine Erwägung bezüglich Anfechtung von Durchsuchungsbefehlen:
Ob bei den erfolgten Haus- und Fahrzeugdurchsuchungen und vorläufigen Sicherstellungen allenfalls Rechte des Beschuldigten oder von Drittbetroffenen verletzt worden sein könnten, ist im hier streitigen (gemäss Art. 248 StPO separaten) Entsiegelungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen, da die betreffenden Zwangsmassnahmenbefehle mit StPO-Beschwerde selbständig anfechtbar sind (vgl. Art. 244 ff. und Art. 263 ff. i.V.m. Art. 198 Abs. 1 und Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO). Der Beschwerdeführer hat auf eine Anfechtung der Durchsuchungsbefehle nach eigener Darstellung verzichtet. Weitere direkt oder indirekt betroffene Personen (bzw. Inhaber von vorläufig beschlagnahmten Aufzeichnungen und Gegenständen) haben keine Siegelung beantragt. Die Frage einer allfälligen Verwertbarkeit von sogenannten “Zufallsfunden” gegen Dritte nach erfolgter Durchsuchung entsiegelter Akten (Art. 141 StPO) bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheides (E. 2.2).
Mit dieser Rechtsprechung ist m.E. nicht vereinbar, dass Beschwerdeinstanzen auf Beschwerden gegen Durchsuchungsbefehle mangels Rechtsschutzinteresses nicht eintreten, was in manchen Kantonen aber Praxis ist. Eine solche Praxis kann sich nur bilden, weil das Bundesgericht auf eine entsprechende BGG-Beschwerde wahrscheinlich nicht eintreten oder die Frage des Eintretens offen lassen würde.
Abgesehen von Arzt- und Anwaltsgeheimnis (welche auch längst nicht mehr vorbehaltlos geschützt sind) hat man bei Einreden welche Tagebücher oder ähnlich persönliche Aufzeichnungen auf Datenträgern umfassen praktisch keine Chance mehr.
Und was besonders verwundert: Die Untersuchungsbehörden haben offensichtlich öfters sogar die Zeit, eine Riesenmenge von Emails zu sichten und zu protokollieren, selbst wenn diese keinen direkten Zusammenhang zum eigentlichen Untersuchungsziel haben.
Dagegen hilft nur die starke Verschlüsselung aller Datenträger, was wiederum zum Einsatz von Bundestrojanern und längerfristig zur Implantation von Überwachungschips in alle Köpfe führt – sry ich wiederhole mich…
… und so dreht sich die Spirale immer weiter. Wer auf den Rechtsschutz nicht mehr vertraut, muss technische Schutzmassnahmen gegen unberechtigte Durchsuchungen ergreifen. Das verhindert dann halt auch Durchsuchungen, die berechtigt wären.