Unerwünschte Verteidiger
Wieviel Energie die schweizerischen Strafbehörden (hierzulande gelten ja auch die Gerichte als Behörden und sie fühlen sich ja oft auch als Behörden und handeln wie Behörden) investieren, um einen Beschuldigten an eine unerwünschte Verteidigerin zu binden, die sich ihrerseits an das Mandat zu klammern scheint (und sich damit selbst disqualifiziert). Ein aktueller Fall kann hier nachgelesen werden (BGer 1B_507/2019 vom 24.06.2020). Bisweilen entsteht der Eindruck, die Behörden bevorzugten weniger qualifizierte Verteidiger, jedenfalls aber Beschuldigte, die nicht mit ihren Anwälten können. Und manche Kollegen habe noch immer nicht begriffen, dass man Klienten niemals vertreten sollte, die einen nicht wollen.
Bei der Lektüre des Urteils, sehe ich hingegen keinen Eifer der Behörden, dem Beschuldigten einen bestimmten Verteidiger auszudrängen. Und ausserdem wer kennt das nicht, dass der Mandant in der Ausnahmesituation der Haft von allen möglichen ,,Staranwälten” Besuch erhält und ihm Wunder versprochen werden nur um einen Wechsel der amtlichen Verteidigung herbeiführen. . Das BG Urteil ist in der Sache richtig.
@B.b. Danke für den Kommentar und dafür, dass Sie Ihre reichhaltige Erfahrung mit uns teilen.
Möchten Sie – obschon in fortgeschrittenem Alter – nicht in die Schweiz übersiedeln und hier noch etwas praktizieren ? Ihre Kenntnisse der hiesigen Gepflogenheiten sind alleweil beachtlich.. Nur zu. Es ist nie zu spät.
Der Herr Strafverteidiger, der so gerne als amtlicher bestellt worden wäre, hat in seiner Beschwerde ans BGer auch ein URP-Gesuch gestellt. Nun kommt es ja nicht selten vor, dass solche Gesuche „wegen Aussichtslosigkeit“ abgewiesen werden; manchmal wohl auch nicht ganz zu Recht bzw. grenzwertig. Hier aber wurde es abgewiesen, weil ungenügend begründet/belegt. Das ist doch eher aussergewöhnlich und – sorry – etwas peinlich. Vielleicht überlegt sich der Herr A. (Bezeichnung aus dem Urteil des BGer) aus dem beschaulichen Kanton Basel-Land, ob sein Wunsch-Verteidiger aus der fernen Stadt Zürich wirklich erste Wahl ist bzw. wäre.
@Jürg Fehr: ungenügend begründet/belegt ist weder aussergewöhnlich noch peinlich. Es steht in unendlich vielen Entscheiden und ich würde mir ohne Kenntnis der Beschwerdeschrift kein Urteil darüber anmassen. Ihr “Herr Strafverteidiger” wusste ganz bestimmt, dass die Chancen vor Bundesgericht nicht hoch waren (das sind sie selten, was in den Berichten des Bundesgerichts nachzulesen ist). Er hat es trotzdem versucht, auf eigenes Risiko. Das ist nicht zu verurteilen, sondern hoch anzurechnen. Strafverteidiger sind die einzigen Dienstleister, die im Strafrecht Kosten- und andere Risiken bis hin zum Berufsverbot tragen. Strafverfolger, Richter, Gerichtsschreiber, Gutachter oder Dolmetscher kennen solche Risiken nicht und sollten sich dessen bewusst werden, wenn sie von auf die Damen und Herren Strafverteidiger herunterblicken.
Ich bin ja nicht ausgesprochen rechthaberisch, geschätzter Herr Jeker, und ich lese auch viele viele Bundesgerichtsurteile (ok, vermutlich nicht ganz so viele wie Sie in Ihrer Freizeit, aber immerhin). Aber abgewiesene URP-Gesuche wegen ungenügender Begründung gibt es – entgegen Ihrer Behauptung – nun mal nicht „unendlich viele“; ganz im Gegenteil. Im Fall hier erzielte der Gesuchsteller gemäss Steuerunterlagen in den Jahren 2015-2017 Einkommen von total rund CHF 644‘000.00. Da genügt es wohl nicht ganz, als Begründung für ein URP-Gesuch „beispielhaft“ ein paar Zahlungsbefehle und Pfändungsurkunden einzureichen; das ist dilettantisch. Und auf Strafverteidiger/Strafverteidigerinnen blicke ich im Fall nicht „hinunter“; ich bin ihnen während 40 Jahren beruflicher Aktivität stets auf Augenhöhe begegnet; da habe ich ein gutes Gewissen. Bei Ihnen hingegen scheint mir auf Grund Ihrer zunehmend beleidigt – aggressiven Äusserungen die Tendenz zu einer gewissen Altersradikalität zu bestehen; müsste nicht unbedingt sein.
@Jürg Fehr: Beleidigt-aggressiv und Altersradikalität gefällt mir 😉
Ich habe in 2018 von einem Rechtspraktikanten 100 Gerichtsurteile ihres Bundesgerichts auf das URP Gesuch hin untersuchen lassen und dann 100 Entscheiden unserer Kammer -die für die kostenlose Rechtshilfe im Strafverfahren verantwortlich ist- untersuchen lassen.
In 92 von 100 Fällen wurde das Gesuch in der Schweiz vom Bundesgericht abgelehnt und nur in 8 Fällen entsprochen. In 51 Fällen waren die Beschwerden offensichtlich unbegründet und das Gericht ging nicht an die Sache, weil zbs. keine Aussicht auf Erfolg bestand. In einem Fall war das schon merkwürdig, da eine Vorinstanz die “kostenlose” Rechtshilfe bewilligte. In 7 Fällen obsiegte der Beschwerdeführer und das Gericht prüfte das Gesuch nicht. Von den 92 abgewiesenen Gesuchen wurden in 65 Fällen die Gerichtskosten erniedrigt und in 3 Fällen sogar “ausnahmsweise” keine Gerichtskosten erhoben. Nach meiner Meinung kann man durch ein Einbringen eines Gesuchs, wenigstens Gerichtskosten senken.
Unsere Kammer die für die Pflichtverteidigung zuständig ist (unabhängig von der Verfahrensführerin) hat in 94 von den 100 Fällen ein ähnliches Gesuch bewilligt. Die offensichtliche Aussichtslosigkeit – wie es sie noch in der UdSSR gab- existiert bei uns seit 1994 nicht mehr. Es gibt keinerlei Vorurteile vor einem Entscheid.
Gerichtskosten in Strafsachen und auf Beschwerden hin sind sowie kostenlos bei uns, wobei es bei der Pflichtverteidigung nur um Anwaltskosten aber auch um Gutachterkosten geht.
Zu loben ist die schnelle Bearbeitungszeit in der Schweiz. So ein Bundesgerichtsentscheid in der Schweiz zur URP ergeht innerhalb von ein paar Monaten.
Ich, -seit 7 Monaten in der Rente- erhalte noch Post zu Pflichtverteidigungen aus dem Jahr 2017. Kurz, der litauische Verteidiger spielt Bank
Auch schweizerische Strafverteidiger/innen spielen Bank – nur weil ein URP-Gesuch gutgeheissen wird, heisst ja noch nicht, dass man sofort und/oder angemessen bezahlt wird (und Zinsen auf Honorare für Jahre zurückliegende Fälle gibts auch nicht – bzw. es würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn das inzwischen der Fall wäre).
Ich kann Nutzer Malo hier unterstützen. Auszahlungen in BS/BL erfolgen nach meiner Erfahrung ausnahmslos nach Abschluss eines Verfahrens. Ein Strafverfahren geht hier ohne Mühe 2-3 Jahre. Einen Vorschuss oder Zins habe ich von den Kantone BS/BL noch nie erhalten. In der Regel werden Honorarnoten stark gekürzt.
Geschätzter Herr Kollege
Ich sehe im Urteil keine Hinweise dafür, dass die Verteidigerin sich an das Mandat klammert. Habe ich ein Detail übersehen oder ist diese Anmerkung genereller Art?
Es ist rechtstaatlich sehr bedauerlich, wenn viel zu hohe Anforderungen an einen Anwaltswechsel gestellt werden.
@Albert Stadler: Die Hinweise sind eher schwach, aber sie hat sich immerhin geäussert. Schon das halte ich für unprofessionell (und meistens wohl bzgl. Berufsgeheimnis auch eher kritisch).
mich würde in dem Fall interessieren, woher die Strafverfolgung von dem Computer bei der Strafverteidigerin wusste. Hat Sie wohlmöglich auch noch den Hinweis gegeben, oder war es der Mandant selber, bzw. sein “neuer” Verteidiger. Skurriler Fall,
Natürlich sollte man den Klienten nicht im Weg stehen, wenn sie einen anderen Anwalt wollen. Es stellt sich für mich aber noch die Frage, was es bringt, wenn ein Anwalt seinen Klienten (auch) nicht mehr will. Ich vermute, dass entsprechende Anträge meistens abgelehnt werden – selbst wenn Anwalt und Klient zusammen einen Wechsel beantragen.
M. E. Sollte bei alledem auch beachtet werden, dass das häufig fälle von notwendiger verteidigung sind. D. h., dass hier nicht nur die wünsche des beschuldigten eine rolle spielen, sondern auch das öffentliche interesse, dass überhaupt eine vertretung besteht, und dass dies nicht dadurch soll unterlaufen werden, dass permanent ein wechsel beantragt wird. Oder was einige beschuldigte auch nicht checken ist, dass sie in solchen fällen einen anwalt bekommen, ob sie wollen oder nicht. Das hat mit ihrem wunsch nichts zu tun, sondern damit, dass WIR, die gesellschaft, will, dass sie verteidigt sind. Ich ziehe mir jetzt einen helm an, weil ich so etwas ketzerisches gesagt habe in einem strafverteidigerblog.
@boet: den Helm brauchen Sie (diesmal) gar nicht. Strafverteidigung ist immer auch im öffentlichen Interesse. Im öffentlichen Interesse ist insbesondere, dass der Beschuldigte einen Verteidiger hat, der ausschliesslich seine Interessen vertritt (StPO 128).
Meiner Erfahrung nach engagieren sich die allermeisten Beschuldigten rasch damit, dass sie einen Strafverteidiger zugewiesen erhalten, obwohl sie selbst gar keinen beauftragt haben. Das Problem ist allerdings, dass zumindest am Anfang noch überhaupt kein Vertrauensverhältnis besteht. Wieso sollte der Beschuldigte auch einem wildfremden Typen vertrauen, der behauptet, er sei nun sein Anwalt und ausschliesslich seinen Interessen verpflichtet.
Wichtig ist für mich aber, dass der notwendige Verteidiger nicht Vertreter, sondern Rechtsbeistand des Beschuldigten ist. Es steht dem Beschuldigten frei, ob er mit dem Verteidiger zusammenarbeiten will – schliesslich hat er ihn ja nicht beauftragt – und er kann genau die gleichen Anträge stellen, wie wenn er keinen Verteidiger hätte. Das mag für die Strafbehörden mühsam sein, aber das Strafprozessrecht existiert ja nicht, um es dem Staat möglichst einfach zu machen.
@Malo: genauso ist es.
@kj malo und Notwendige Verteidigung
Was mir oft die letzten 10 Jahre bei meinen Landleuten aufgefallen ist, welche meist als LKW Fahrer wegen massiver Überschreitung der schweizerischen Verkehrsregeln bzw. wegen anderer Vergehen über Tage und Wochen “verknastet” wurden und oft zur Folge hatte das der litauische Arbeitsvertrag gekündigt wurde, welche ich dann als missbräuchliche Verdachtskündigungen in Entschädigungen verwandeln sollte, ist eben nicht die Bereitstellung von Anwälten, obwohl wegen Vergehen in U-Haft gesessen wird.
Ferner ist mir auch aufgefallen, dass in den meisten Fällen dann die Kosten des Strafverfahrens, trotz Einstellung oder Freispruch, nicht vom Staat übernommen wurden mit dem Hinweis auf die nicht Notwendigkeit eines Anwalts.
Auch wurde mir oft an die Ohren getragen, dass die “Schweizer Anwälte” sehr verärgert reagieren sollen, wenn der Vertretene sich massiv selber wehrt (Beschwerden), gerade mit dem Hinweis auf ein etwaiges Nichtübernehmen von Honoraren durch den Staat. Kurz, man denkt das Anwälte im Hinblick auf ihre Honorarforderungen an den Staat keinerlei Beschwerden einlegen, obwohl Beschwerden angebracht gewesen seien.
Vielleicht gibt’s hier doch Verbesserungsbedarf.
Möchten Sie – obschon in fortgeschrittenem Alter – nicht in die Schweiz übersiedeln und hier noch etwas praktizieren ? Ihre Kenntnisse der hiesigen Gepflogenheiten sind alleweil beachtlich.. Nur zu. Es ist nie zu spät.
@Jürg Fehr: Sie wären doch auch einer, der sich als Strafverteidiger nochmals so richtig für den Rechtsstaat Schweiz engagieren könnte/sollte.
@Tades Brasauskas: Es gibt viel Verbesserungsbedarf. Es gibt bspw. viel zu viele Anwälte, die Strafverteidigungen machen, ohne sich auszukennen. Wer einen guten Anwalt hat, muss selbst sicher nicht Beschwerden einreichen. Ich würde das übrigens uach nicht besonders schätzen, denn gute Verteidigung ist Absprache zwischen Anwalt und Klient. Ob eine Beschwerde geführt wird, entscheiden beide gemeinsam. Wird für die Beschwerde entschieden, dann macht sie hoffentlich der Anwalt und nicht der Klient.
Ein schwieriges Thema sind die Kosten. Über die Kosten werden wir Anwälte erzogen. Beschwerden sind oft ohne jede Erfolgsaussicht, so dass die Anwälte auf eigenes Risiko prozessieren müssen. Das System sorgt pointiert ausgedrückt dafür, dass Verteidigung unterdrückt wird, wo die finanziellen Mittel fehlen. Wer aber einen Verteidiger gut bezahlen kann, wird am System im internationalen Vergleich wenig kritisieren können.
@kj. Das ist jetzt Ihre (einseitige) sicht der dinge, die Sie natürlich haben dürfen. Dass Sie als strafverteidiger die eine oder andere frustration erlebt haben, hat dazu wohl beigetragen. Das tut mir leid. Aus meiner sicht ist es aber zu undifferenziert zu sagen, die armen werden schlecht oder gar nicht verteidigt und die reichen gut.
@Notwendige Verteidigung: Ich weiss es sehr zu schätzen, dass Sie mir meine Meinung auf meinem Blog zugestehen. Danke. Die ist natürlich einseitig. Wenn ich frustriert oder besonders dafür anfällig wäre, würde ich mich sicher nicht auf Strafverteidigung konzentrieren. Und bloggen würde ich erst recht nicht oder höchsten anonym. Aber natürlich habe ich wie fast jeder Berufstätige Frustration erlebt. Das hält mich aber nicht davon ab, Dinge zu benennen, v.a. Dinge, mit denen ich mich nach über 25 Jahren langsam auskenne. Offenbar nicht so gut wie Sie, aber ein bisschen vielleicht halt doch. Eine praktische Erkenntnis ist, dass das Frustrationsrisiko deutlich tiefer ist, wenn man vermögende Klienten vertritt, und zwar nicht wegen des Honorars. Es ist einfach deutlich schwieriger, einen randständigen Fahrraddieb erfolgreich zu verteidigen als einen vermögenden Besitzer eines Fahrradherstellers. Fragen Sie andere Strafverteidiger mit Erfahrung als Strafverteidiger aus beiden Gruppen.
@kj. Ich respektiere Ihre erfahrung. Ich will auch nicht behaupten, dass in der strafjustiz alles rosig ist. Dennoch bin ich der meinung, dass man differenzieren sollte. Und erlauben Sie mir nur folgenden einwand: könnte es nicht daran liegen, dass der randständige fahrraddieb im unterschied zum reichen hersteller in der regel so dillettantisch vorgeht, dass die ausgangslage per se, nun ja, schwierig ist, will sagen das meiste aussichtslos? Ich habe natürlich nicht Ihre erfahrung, aber randständige fahrraddiebe scheinen mir nicht der raffiniertesten beschuldigtenkategorie anzugehören.
@Notwendige Verteidigung: Mit dem letzten randständigen Klienten habe ich Rawls diskutiert.
@kj: Sie werden es kaum glauben, aber nach der Pensionierung habe ich mir einen „Seitenwechsel“ ernsthaft überlegt. Mein langjähriger Büronachbar am Gericht hat ihn nach der Pensionierung effektiv vollzogen, arbeitet vollzeitlich als Anwalt (inkl. Pikettdienst), ist total begeistert und wirkt wie neugeboren (!). Allerdings: Ex-Richter als Anwälte sind nicht durchwegs beliebt, weder bei den ehemaligen Kollegen noch bei den neuen Kolleginnen/Kollegen aus Advokatur. („Da hat einer jahrelang auf Staatskosten reiche Erfahrungen und auch Insiderwissen angehäuft und nun wechselt er die Seite und möchte das noch etwas vergolden, in Konkurrenz zu etablierten Anwälten“; so und ähnlich). Also habe ich es doch lieber bleiben lassen, betätige mich aber immer noch gerne etwa gefälligkeitshalber im Bekanntenkreis, Schwergewicht Sozialversicherungstecht.