Ungenügendes Gutachten zur Schuldfähigkeit

Das Bundesgericht heisst eine Beschwerde gut, weil die Vorinstanz gestützt auf ein (anerkanntermassen) ungenügendes Schuldfähigkeitsgutachten urteilte (BGer 6B_650/2011 vom 10.04.2012). Der Gutachter hat anstatt die fachlichen Fragen Rechtsfragen beantwortet:

Da sich der psychiatrische Sachverständige auch über den Grad der Verminderung der Schuldfähigkeit auszusprechen hat (BGE 119 IV 120 E. 2a mit Hinweis; FELIX BOMMER, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, Art. 20 StGB N. 33), erachtet die Vorinstanz das Gutachten somit in einem wesentlichen Punkt für ungenügend. Trotzdem holt sie zu dieser wichtigen Frage weder ein Ergänzungs- noch ein Zweitgutachten ein. Sie führt auch nicht aus, weshalb sie keine ergänzenden Beweise zur Klärung erhebt. Vielmehr attestiert sie dem Beschwerdeführer alleine wegen seines massiven Kokainmissbrauchs bezüglich der Straftaten zum Nachteil seiner damaligen Ehefrau (Vergewaltigungen, Schändungen und Drohungen) „zu seinen Gunsten“ eine mittelgradig verminderte Schuldfähigkeit (Urteil S. 18 E. 8.3 und S. 19 2. Abs.). Weiter schliesst sie aus, dass der Beschwerdeführer unter dem Einfluss von Stilnox® fähig gewesen wäre, die Beschwerdegegnerin 2 stundenlang wachzuhalten und anschliessend an ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen (S. 18 E. 8.3). Wie sich Alkohol und Medikamente auf eine bestimmte Person auswirken, ist aber der Beurteilung von Fachpersonen überlassen (vgl. Urteil 6B_515/2011 vom 24. Januar 2012 E. 2.3). Dem vorliegenden Gutachten lässt sich ein solcher Schluss, wie ihn die Vorinstanz zieht, weder ausdrücklich noch implizit entnehmen. Der psychiatrische Sachverständige hält vielmehr fest, unter Fachleuten sei unbestritten, dass Schlafmittel des Benzodiazepinetyps geeignet seien, schwere Bewusstseinsbeeinträchtigungen, trotz durchaus erhaltener Fähigkeit zu komplexen Handlungen, zu verursachen […], was theoretisch auch für eine diesen Schlafmitteln vergleichbaren Substanz wie Stilnox® nicht auszuschliessen sei. Zwar könne auch Nozinan® eine Bewusstseinsbeeinträchtigung bewirken. Geschlechtsverkehr wäre aber aufgrund der dämpfenden Wirkung dieses Neuroleptikums nicht denkbar (kantonale Akten act. 4/2/47 S. 34 am Ende). Mit diesen Ausführungen setzt sich die Vorinstanz nicht auseinander. Stattdessen nimmt sie ohne Begründung bzw. weitere Abklärungen an, der Beschwerdeführer wäre unter dem Einfluss und der Wirkung von Stilnox® (einem Schlafmittel, keinem Neuroleptikum) nicht zu den angeklagten Sexualdelikten fähig gewesen. Folglich würdigt sie auch keine weiteren Beweise, um so allenfalls festzustellen, ob der Beschwerdeführer bei Begehung der inkriminierten Sexualdelikte tatsächlich unter dem Einfluss von Stilnox® stand oder nicht (E. 3.4).