Ungerechtfertigte oder widerrechtliche Haft
In einem heute publizierten Entscheid hatte es einen Entschädigungsanspruch aus Art. 5 Ziff. 5 EMRK zu beurteilen (BGer 6B_747/2016 vom 27.10.2016).
Zu diesem Zweck verweist das Bundesgericht auf seine Rechtsprechung zu Art. 431 StPO und zu dessen Verhältnis zu Art. 5 Ziff. 5 EMRK. Ob die Rechtslage heute so klar und einfach ist, wie es das Bundesgericht darstellt, bedürfte wohl einer vertieften wissenschaftlichen Analyse. Ich verstehe eigentlich nur, dass es rechtswidrige Haft in der Praxis gar nicht gibt (ausser im Bereich des Haftvollzugs) und dass finanzielle Ansprüche praktisch nur noch bei Überhaft durchsetzbar sind.
Hier die für die Praxis wertvolle Darstellung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
zu Art. 431 StPO:
Art. 431 Abs. 1 StPO gewährleistet den Anspruch bei rechtswidrigen Zwangsmassnahmen. Art. 431 Abs. 2 StPO betrifft die Überhaft, bei welcher nicht die Haft per se, sondern die Haftlänge ungerechtfertigt ist (BGE 141 IV 236 E. 3.2; Urteil 6B_182/2015 vom 29. Oktober 2015 E. 1.3.2). Gemäss Art. 431 Abs. 3 lit. b StPO besteht kein Anspruch auf Entschädigung und Genugtuung, wenn die bedingt oder unbedingt ausgesprochene Strafe die Dauer der erstandenen Haft nicht überschreitet (BGE 141 IV 236 E. 3.3; Urteil 6B_9/2015 vom 20. Juli 2015 E. 1.6). Ebenso verhält es sich bei Anrechnung des vorzeitigen Strafvollzugs (Urteil 6B_571/2015 vom 14. Dezember 2015 E. 2). Dass die beschuldigte Person in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine Verhaltensnorm verstiess, die Einleitung des Verfahrens schuldhaft veranlasste oder (teilweise) verurteilt wurde, ist für die Überhaftentschädigung ohne Belang. Soweit der Freiheitsentzug die tatsächlich ausgefällte Sanktion übersteigt, hat das Gericht neben der Anrechnung die Überhaft abzugelten (Urteil 6B_182/2015 vom 29. Oktober 2015 E. 1.3.4 und 1.3.5).
und zu Art. 5 Ziff. 5 EMRK:
3.3.3. Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich beurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden (Urteil 1B_283/2016 vom 26. August 2016 E. 5.2 und E. 5.5 [die Angemessenheit der Haft lässt sich nicht abstrakt berechnen]). Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Art. 212 StPO regelt die Grundsätze der Aufhebung von Zwangsmassnahmen. Eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips liegt insbesondere vor, wenn die Haft die Dauer der zu erwartenden Strafe übersteigt (Art. 212 Abs. 3 StPO). Der Richter darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der konkret zu erwartenden Dauer der Sanktion rückt (Urteil 1B_240/2016 vom 2. August 2016 E. 3.2; zur Verfahrensbeschleunigung Urteil 1B_95/2015 vom 14. April 2015 E. 3.1).
3.3.4. Nach konstanter Rechtsprechung stellt Art. 5 Ziff. 5 EMRK eine eigenständige und direkte Haftungsnorm dar (BGE 125 I 394 E. 5a und E. 5g). Die StPO geht über den Minimalanspruch der EMRK hinaus und sieht eine angemessene Entschädigung und Genugtuung generell für den Fall vor, dass gegenüber der beschuldigten Person “rechtswidrige” Zwangsmassnahmen angeordnet wurden (Niklaus O BERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, Rz. 1746).
Unter dem Gesichtspunkt von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK setzt die Rechtmässigkeit der Haft die ausreichende rechtliche Grundlage und die willkürfreie Haftentscheidung voraus. Zu prüfen sind Haftgründe, wenn das innerstaatliche Recht solche aufstellt, sowie die Verhältnismässigkeit. Untersuchungshaft ist nur solange rechtmässig, wie sie sich noch auf gesetzliche oder richterliche Anordnungen stützen kann (KARPENSTEIN/MAYER, a.a.O., Rz. 53-55 zu Art. 5 EMRK). Der Freiheitsentzug muss in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen innerstaatlichen Verfahren erfolgen. Die Präventiv- und Untersuchungshaft dient der Sicherung der strafrechtlichen Untersuchung, wobei nicht verlangt ist, dass die Haft durch den Richter angeordnet wird (GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., § 21 Rz. 11 f., 23).
Rechtswidrig wäre die Haft bspw., wenn das innerstaatliche anordnungsverfahrdn nicht eingehalten wird (bspw. Die 24/48/96 std.fristen, wobei für das Bundesgericht nur die 96-std.frist überhaupt von Bedeutung ist, oder wenn der StA die Haft anordnen würde statt das ZMG oder wenn ein Haftgrund angenommen wird, den es weder. Aktionsmenü noch international gibt, etc.).
Danke Dir. Das heisst im Ergebnis ja wohl, dass die Haft nur dann rechtswidrig ist, wenn gleichzeitig eine Freiheitsberaubung vorliegt ;.)
Ich habe gerade einen Fall, indem mein Mandant aufgrund eines für rechtskräftig erklärten Strafbefehls in den Strafvollzug versetzt wurde. Nun nach über 2 Monaten erhielt er (durch die von mir beantragte Akteneinsicht) erstmals tatsächlich Kenntnis vom Strafbefehl. Dieser wurde ihm nie ordnungsgemäss zugestellt und mangels Abklärungen durch die Staatsanwaltschaft greift Art. 88 Abs. 4 StPO nicht. Nach Einreichung der Einsprache hat das Strafgericht nun festgestellt, dass die Zustellfiktion vorliegend nicht greift. Ich bin nun „gespannt“ wie das Gericht den Entschädigungsanspruch regeln wird.