Unredliches zum "Anwalt der ersten Stunde"
Just vor der Behandlung der Vereinheitlichung des Strafprozessrechts durch den Ständerat äussert sich ein aus Funk und Presse bekannter Staatsanwalt in der heutigen Ausgabe der NZZ zum “Anwalt der ersten Stunde”. Der Autor sagt nicht, dass er keine eigenen Erfahrungen mit dem Anwalt der ersten Stunde hat, was mich seine Äusserungen jedenfalls stark vermuten lassen. Er verschweigt, dass das Institut, das übrigens in etlichen Kantonen völlig klaglos und seit Jahren praktiziert wird, einen bescheidenen Ausgleich zum gewaltigen Machtzuwachs auf Seiten der Staatsanwaltschaft darstellt. Ich halte es für unrechdlich, wenn ein ausgewiesener Fachmann (bei Staatsanwälten gilt bekanntlich bereits deren Wahl als Fachausweis) auf diese Weise Stimmung macht und die Politik zu beeinflussen versucht.
Da der Artikel online nicht bzw. nur gegen Bezahlung erhältlich ist, gebe ich hier ein paar Highlights wieder mit meinen Bemerkungen in Klammern:
Gemäss Art. 156 Abs. 1 des Entwurfs ist die Verteidigung bereits bei der ersten polizeilichen Einvernahme des beschuldigten Mandanten zuzulassen, und ihr muss auch die Möglichkeit eingeräumt werden, sich vorher «unter vier Augen» mit der beschuldigten Person zu besprechen. Die Polizei hat dabei auf die Abkömmlichkeit der Verteidigung Rücksicht zu nehmen. [Art. 156 Abs. 2 lautet wie folgt: Wer sein Teilnahmerecht geltend macht, kann daraus keinen Anspruch auf Verschiebung der Einvernahme ableiten].
Vor allem aber kann der «Anwalt der ersten Stunde» nicht im Interesse einer effizienten, an der Erforschung der tatsächlichen – und nicht nur der prozessualen – Wahrheit orientierten Strafrechtspflege sein [Mit dieser Argumentation kann man auch begründen, dass die Verteidigung die Wahrheitsfindung immer nur erschwert und daher abgeschafft gehört].
Denn dieses Institut trägt genau besehen den realen Gegebenheiten und Bedürfnissen des strafjustiziellen Alltags nicht Rechnung, vielmehr hindert es die rasche Strafverfolgung vor allem im Zeitpunkt der Entstehung eines Tatverdachts, also beim ersten Zugriff von Polizei und Justiz im Rahmen der Festnahme eines Tatverdächtigen [“strafjustizieller” Alltag? rasche Strafverfolgung?]
Die praktische Erfahrung zeigt, dass Beschuldigte zu Beginn eines Strafverfahrens, vielfach noch unter dem Einfluss der begangenen Straftat und der Festnahme, eher unbehelligt von taktischen Überlegungen aussagen, als dies im späteren Verfahrensverlauf der Fall ist [Richtig ist, dass der Einfluss der Festnahme der Wahrheitsfindung alles andere als förderlich ist. Aber egal, was bitte hat der Anwalt der ersten Stunde damit zu tun?]
Deswegen sollte einer tatverdächtigen verhafteten Person unter keinen Umständen der Anspruch gewährt werden, sich vor der ersten Einvernahme noch «unter vier Augen» mit der Verteidigung zu unterhalten. Wird ein solcher Kontakt zugelassen, sind die Aussagen des Beschuldigten naturgemäss massiv von taktischen Erwägungen gefiltert, was den Wert als Beweismittel schmälert und die Wahrheitsfindung beeinträchtigt [Woher weiss der Mann das alles?]
Hoffentlich fällt der Ständerat nicht auf solche Stimmungsmache herein.