Untermassverbot
Nach einem neuen Grundsatzurteil des Bundesgerichts kommt das Untermassverbot auch bei Massnahmen für junge Erwachsene zur Anwendung (BGE 6B_593/2023 vom 15.12.2023, Publikation in der AS vorgesehen).
Mir ist aber ein anderer Satz aufgefallen, der sich zum in der Beschwerde thematisierten Grad der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit aufgefallen:
Damit berücksichtigt der Sachverständige zu Recht, dass der psycho-pathologische Zustand und nicht dessen Ursache, die Alkoholisierung, die sich in der Blutalkoholkonzentration widerspiegelt, für die Beeinträchtigung von Einsicht- und Steuerungsfähigkeit infolge Trunkenheit ausschlaggebend ist. Zwischen der Alkoholisierung und darauf beruhender forensisch relevanter Psychopathologie gibt es keine feste Korrelation; vielmehr sind Alkoholgewöhnung, die Tatsituation und die weiteren Umstände in die Beurteilung einzubeziehen (vgl. E. 1.4.4).
Ich will dem ja gar nicht widersprechen, frage mich aber, wie zuverlässig ein Gutachten all die massgebenden Umstände überhaupt bewerten kann.
Gute Frage betr. Feststellung der Schuldfähigkeit. Ich habe schon erlebt, dass Gutachter aufgrund von Nachtatverhalten auf volle Schuldfähigkeit geschlossen haben, obschon dieses Nachtatverhalten offensichtlich keine grosse Leistung war und auch in sehr benebeltem Zustand – von allem unter Berücksichtigung des Adrenalinschubes, welche die Leute in solch einer Situation wohl erfahren – noch problemlos vorgenommen werden kann.
Wenn ich bedenke, auf was für eine dubiose Art manche ‘Gutachten’ zustande kommen, dann kann ich die Zurückhaltung und Skepsis mancher Richter gegenüber den ‘Fachleuten aus der Psychiatrie’ mehr als verstehen. Wo ein Gutachter den Probanden oder die Probandin innerhalb von drei Monaten nur höchstens einmal bei einem knapp zweiminütigen Gespräch zu Gesicht bekommt oder erst gar nicht mit ihm oder ihr redet, sondern mit Drittpersonen, und aufgrund Hörensagen irgendeine Diagnose stellt, da kann es mit der Glaubwürdigkeit und der Zuverlässigkeit des Gutachtens nicht weit her sein. Besser wäre es der Richter verschafft sich aufgrund eigenen sorgfältigen Wahrnehmungen und Befragungen einen Eindruck, statt sich auf die ‘Berichterstattung’ von zwar sicher belesenen, aber eben meist oberflächlich und in Eile oder unter Zeitdruck schreibenden Gutachtern abzustützen.