Untersuchungsgrundsatz bei Überschreiten der Parkzeit

Manchmal kriegt man den Eindruck, das Bundesgericht verfüge bei Bagatellstrafsachen über eine erweiterte Kognition. Beispielsweise in einem heute publizierten Fall kassiert es auf Laienbeschwerde hin eine (aargauische) Übertretungsbusse von CHF 40.00, weil die Vorinstanz die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, einem Zivilangestellten der Polizei, nicht überprüft hatte (BGer 7B_205/2022 vom 25.10.2023). Der Polizist (B.) wollte anhand der Ventilstellung festgestellt haben, dass der fragliche Personenwagen seit der letzten Kontrolle nicht bewegt worden sei:

Er kontrolliere den ruhenden Verkehr in seinem Einsatzgebiet mehrmals pro Woche. Es könne ihm deshalb attestiert werden, sich die Ventilstellung am Rad eines Fahrzeugs auch ohne Notiz zu merken. Das gelte zumindest dann, wenn an einem Tag nur wenige Fahrzeuge kontrolliert worden seien und er sich diejenigen mit Parkvignette gar nicht erst habe merken müssen. Weiter sei der Umstand, dass der Renault des Beschwerdeführers ein französisches Kontrollschild hat, geeignet gewesen, B. besonders gut im Gedächtnis zu bleiben. Er habe sich nur gerade die Ventilposition des “französischen Renaults” für ein paar Stunden merken müssen, was kognitiv auch bei einer 63 Jahre alten Person ohne Weiteres möglich scheine, zumal B. in der Kontrolle des ruhenden Verkehrs geübt und erfahren sei (E. 3.1). 

Der Beschwerdeführer behauptete nun aber bereits vor erster Instanz, B. habe in einem anderen Verfahren ausgesagt, er prüfe die Ventilstellung nicht. Damit drang der Beschwerdeführer durch:

Der blosse Umstand, dass B. in einem anderen Verfahren, in dem eine Ordnungsbusse ausgestellt worden war, als Zeuge einvernommen worden sei, rechtfertige den Beizug dieser Strafakten nicht. Diese Argumentation vermag angesichts der Tatsache, dass die Angaben von B. im Verfahren ST.2019.1279 womöglich in entscheidwesentlichem Widerspruch stehen zu seinen Aussagen im vorliegenden Verfahren, welche die einzige Grundlage für den Schuldspruch bilden, nicht zu überzeugen. Stattdessen hätte die Vorinstanz weitere Abklärungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen tätigen müssen, denn diese sind vorliegend geeignet, sich auch auf die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussagen auszuwirken. Da sie dies unterlassen hat, wird die Sache zur Neubeurteilung zurückgewiesen. Dabei wird die Vorinstanz in einem ersten Schritt zu prüfen haben, ob überwiegende öffentliche oder private Geheimhaltungsinteressen im Sinne von Art. 194 Abs. 2 StPO einer Edition entgegenstehen. Ist dies nicht der Fall oder können diese Interessen mit milderen Massnahmen als einem Verzicht auf Aktenbeizug gewahrt werden (zur Verhältnismässigkeit in diesem Zusammenhang siehe Urteil 1B_289/2016 vom 8. Dezember 2016 E. 3.2 mit Hinweis), wird sie das streitige Einvernahmeprotokoll von B. aus dem Verfahren ST.2019.1279 beizuziehen und bei ihrer Sachverhaltsfeststellung zu berücksichtigen haben (E. 3.4. Hervorhebungen durch mich). 

Tja, Untersuchungsgrundsatz!