Untersuchungshaft nach Auslieferung
Das Verbot der doppelten Strafverfolgung stellt nach Lehre und Rechtsprechung ein Verfahrenshindernis dar, das in jedem Verfahrensstadium von Amtes wegen zu berücksichtigen ist.
Im internationalen Verhältnis gilt dies gestützt auf Art. 54 f. SDÜ (so auch das Bundesgericht im heute publizierten Entscheid BGer 1B_56/2017 vom 08.03.2017):
Gemäss Art. 54 SDÜ darf, wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. a SDÜ kann eine Vertragspartei bei der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung dieses Übereinkommens erklären, dass sie (…) nicht durch Artikel 54 gebunden ist, wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde; im letzteren Fall gilt diese Ausnahme jedoch nicht, wenn diese Tat teilweise im Hoheitsgebiet der Vertragspartei begangen wurde, in dem das Urteil ergangen ist. Die Schweiz hat eine entsprechende Erklärung zu Art. 55 Abs. 1 lit. a SDÜ abgegeben (vgl. die Erklärungen und Mitteilungen der Schweiz im Anhang des SAA) [E. 2.1].
Das alles halt einem Untersuchungshäftling aber nicht, denn es war nicht klar, ob das in Frankreich gegen ihn ergangene Urteil rechtskräftig war:
Das Verbot der Doppelbestrafung gemäss Art. 54 SDÜ kommt nur bei einer rechtskräftigen Aburteilung zur Anwendung (TAG, a.a.O., N. 6 und 8 zu Art. 11 StPO). Nach dem Gesagten ist die Rechtskraft des Urteils des Berufungsgerichts in Nancy zweifelhaft. Die Staatsanwaltschaft wird beförderlich zu klären haben, wie es sich damit verhält (E. 2.2).
Stossend ist, dass der Beschwerdeführer von Frankreich in die Schweiz ausgeliefert wurde und dass Frankreich verpflichtet ist, solche Fragen zu beantworten. Der Beschwerdeführer bleibt nun aber mindestens in Haft, bis die entsprechenden Auskünfte aus Frankreich vorliegen:
Die Staatsanwaltschaft wird mit Blick auf das Gebot der besonderen Beschleunigung in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO) darauf hinzuwirken haben, dass die französischen Behörden – wie das Art. 57 Abs. 2 SDÜ vorschreibt – die Urteile der Gerichte in Nancy sobald wie möglich übermitteln und sich zur Rechtskraft äussern. Sollte das Urteil des Berufungsgerichts in Nancy rechtskräftig geworden (und der französische Strafregisterauszug vom 1. Februar 2017 somit falsch bzw. zumindest nicht auf dem aktuellen Stand) sein, wird sich die Staatsanwaltschaft in Auseinandersetzung mit den Erwägungen der Gerichte in Nancy dazu zu äussern haben, ob es im schweizerischen Strafverfahren um dieselbe Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ geht. Es besteht hier kein Anlass, dazu gewissermassen auf Vorrat rechtliche Erwägungen anzustellen (zur Tatidentität gemäss Art. 54 SDÜ vgl. TAG, a.a..O, N. 17 zu Art. 11 StPO, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union) [E. 2.3].