Untersuchungshaft nach ungenügenden Abklärungen?
Erneut kassiert das Bundesgericht ein Urteil, weil die Vorinstanz, welche zuungunsten des Betroffenen entschieden hatte, ihren Job nicht machte (BGer 1B_197/2023 vom 04.05.2023). Das Bundesgericht weist darauf hin, dass die Haftgerichte “aus Gründen der Prozessökonomie” gehalten seien, alle in Frage kommenden Haftgründe zu prüfen:
Erscheint ein Haftgrund wie vorliegend diskutabel, sind die kantonalen Instanzen nach dem Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen (vgl. Art. 5 Abs. 2 StPO; Art. 31 Abs. 4 BV) sowie aus Gründen der Prozessökonomie dazu gehalten, auch die übrigen in Frage kommenden Haftgründe zu prüfen (siehe Urteile 1B_24/2022 vom 3. Februar 2022 E. 5; 1B_476/2021 vom 23. September 2021 E. 5.1). Damit kann regelmässig verhindert werden, dass die Rechtsmittelinstanz die Haftsache zur Prüfung solcher Haftgründe zurückweisen muss (vgl. Art. 397 Abs. 2 StPO, Art. 107 Abs. 2 BGG) [E. 4.5].
Diese Kritik fällt auf das Bundesgericht selbst zurück. Es hätte es in der Hand, bei verworfenen Haftgründen die Haftentlassung anzuordnen, was es gestützt auf Art. 5 EMRK auch müsste. Statt dessen gibt es den Vorinstanzen regelmässig eine zweite Chance. Auch das widerspricht dem Beschleunigungsgebot und noch viel mehr der Verfassung. Aber es geht – und das kommt mit dem Zitat oben leider auch zum Ausdruck – nicht um Durchsetzung des Rechts, sondern um Durchsetzung des Strafverfolgungsinteresses und im Einzelfall auch einfach um den Schutz der öffentlichen Sicherheit contra legem.
Bei Ihrem Satzanfang “Erneut kassiert das Bundesgericht ein Urteil” müsste man meinen, dass dies relgemässig der Fall ist. Wenn Sie jedoch die Statistiken studieren, merken Sie, dass dies praktisch nie bzw. ässerst selten vorkommt. Beschwerden werden in Haftsachen fast immer abgewiesen.
Vielen Dank für diese zusätzlichen Informationen. Es scheint, dass das Bundesgericht die Vorinstanz kritisiert hat, weil sie nicht alle in Frage kommenden Haftgründe geprüft hat, was zu einem fehlerhaften Urteil geführt hat. Es ist jedoch besorgniserregend, dass das Bundesgericht selbst in der Praxis “manchmal” dazu tendiert, den Schutz der öffentlichen Sicherheit über die Rechtsstaatlichkeit zu stellen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in dieser Frage weiterentwickeln wird.
Meine Vermutung ist, dass Gerichte die Vorinstanzen vor potentieller Strafverfolgung mit rechtsmissbräuchlichen Rechtsverneinungstaktiken bewahren möchten, deshalb lieber eine zweite Chance. Sowieso wäre bei einem Verstoss gegen die EMRK die Schweiz als Staat betroffen (EMRK-Rechtsgüter kann nur ein Staat und nicht die Behörde darin verletzen) und warum sollte somit irgendeine Instanz seinem Quasi-Arbeitgeber belasten, somit ist es offensichtlich, warum ein Bundesrichter nicht die Schweiz “schuldig” sprechen möchte.
Säuhäfeli halt, man schütz das eigene Land und bricht dabei Recht obwohl man Rechtsprechen sollte…im Prinzip der Inbegriff des Amtsmissbrauches…da aber Säuhäfeli gilt, schützen die Sta die Richter dann schon auch mit Nichteintretensverfügungen….halt ein wahrer Rechtstaat die Schweiz…
Immerhin hat das bg das urteil innert 2 monaten und damit sehr schnell gefällt. Im unterschied zu sonst üblichen 1, 1.5 oder sogar geschlagenen 2 jahren…
@Verfahrensdauer: In Haftsachen entscheidet das BGer innert Wochen.
haben sie beispiele (oder auch nur ein einziges beispiel), wo das bundesgerichtliche verfahren in haftsachen so lange dauerte wie sie behaupten?
Sorry, ich wurde falsch verstanden. Mein kommentar war nicht bezogen auf die haftentscheide des bg, sondern auf die haftentscheide im vergleich zu übrigen entscheiden. Es war mehr so gemeint: immerhin hat das bg diesen haftentscheid schnell gefällt (wie für haftentscheide nicht unüblich), anders als übrige entscheide, bei denen man bis zu 2 jahren warten muss… asche auf mein haupt!