Unwirksame Verteidigung reicht auch in Fällen notwendiger Verteidigung
Wahrscheinlich neigen wir Strafverteidiger dazu, unsere Aufgabe zu wichtig zu nehmen, denn nach einem neuen Urteil des Bundesgerichts (BGer 6B_908/2018 vom 23.01.2019) braucht es uns im Grunde gar nicht. Notwendige Verteidigung muss nicht wirksam sein. Es reicht anscheinend, wenn sie formell besteht.
Aber vielleicht überschätzte ich auch einfach die Tragweite des zitierten Bundesgerichtsentscheids, denn einzelne Erwägungen wecken gewisse Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Argumentation, insbesondere diese:
Soweit ihr erster Verteidiger auf die Teilnahme verzichtet hat und beide früheren Verteidiger gegen die Verwertung der Aussagen keine Einwände erhoben haben, muss [die Beschwerdeführerin] sich diesen Verzicht grundsätzlich anrechnen lassen und kann sich nicht nachträglich auf die Nichtgewährung des Rechts auf Teilhabe berufen (BGE 143 IV 397 E. 3.4.2 S. 406, mit Hinweisen). Soweit sie nunmehr durch den aktuellen Rechtsvertreter im Verfahren vor Bundesgericht die Verletzung des Teilnahmerechts rügen lässt, verstösst sie gegen das Prinzip von Treu und Glauben. Daran ändert nichts, wenn die Verletzung des Rechts auf Teilhabe im Gewand einer Rüge der Verletzung der richterlichen Fürsorgepflicht erhoben wird [wie hätte sie es denn sonst rügen sollen?]. Soweit auf die Teilnahme gültig verzichtet werden kann, liegt kein eklatanter Verstoss gegen allgemein anerkannte Verteidigerpflichten vor, so dass für die richterliche Behörde kein Raum bleibt, von sich aus tätig zu werden (E. 1.3.1, Hervorhebungen und Klammerbemerkungen durch mich).
Entschuldigung, aber das ist intellektuell unredlich, und zwar gleich mehrfach. Wenig Mut machen auch andere Erwägungen in diesem Entscheid. Dort beruft sich das Bundesgericht wiederholt auf das in diesem Verfahren anwendbare bernische Strafverfahrensrecht und tut so, als habe die ausdrücklich als verletzt gerügte EMRK vor Inkrafttreten der StPO nicht gegolten.
Schön zu wissen wäre noch, wie die Gerichte die drei amtlichen Verteidiger honoriert haben. Wessen Honorarnote haben sie wohl durchgewunken und wessen zusammengestrichen?