Unwürdiger Affentanz um fragwürdige Zustellfiktion
Erneut muss sich das Bundesgericht mit der Frage der rechtswirksamen Zustellung eines Strafbefehls befassen und die kantonalen Strafbehörden korrigieren, die sich zu Unrecht auf die Zustellfiktion nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO berufen hatten, um auf eine Einsprache nicht eintreten zu müssen (BGer 6B_1175/2013 vom 18.09.20014). Die Energie, welche die schweizerische Strafjustiz investiert, um Beschuldigten den Zugang zum Richter zu erschweren, ist peinlich und einem Rechtsstaat unwürdig. Solche Verfahren untergraben die Autorität, welche die Strafbehörden durch Härte gegenüber den Beschuldigten zu suchen scheinen. Leider gibt es viel zu wenige Betroffene, die bereit sind, bis nach Lausanne zu gehen und damit tausende von Franken zu investieren, um überhaupt jemals einen Richter zu Gesicht zu bekommen.
Lieber Korad Jeker
Ich finde, du machst das sehr gut mit deiner aktuellen Berichterstattung über Entscheide der Gerichte im Bereich der Schweizerischen Strafprozessordnung – dafür gebührt dir Dank und Respekt.
Aber, könntest du dir auch vorstellen, nicht alle Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte jeweils in den gleichen Topf der angeblichen Unfähigkeit zu werfen. Ich kenne viele der genannten Personen, welche gute Arbeit leisten und durchaus bemüht sind, in Anwendung des Gesetzes auch Vernunft und Augenmass walten zu lassen. Im Uebrigen gilt für alle am Strafverfahren Beteiligten der Grundsatz: “errare humanum est”.
Ich wünsche dir einen arbeitsreichen und stressfreien Tag
Friedrich Müller, Staatsanwalt und Rechtsanwalt
Danke für die Blumen. Ich kann Dich beruhigen, auch ich kenne Richter und Staatsanwälte, die sehr gute Arbeit leisten. Das ändert aber nichts daran, dass unser Strafprozess in die Inquisition zurückfällt (Strafbefehlsverfahren), dass das Verfahren an der Macht der Staatsanwälte leidet (dafür können sie nichts) und dass sich viele Richter offenbar nicht vorstellen können, dass selbst die mächtigen Staatsanwälte Fehler machen (die Staatsanwaltschaft gilt auch in der Schweiz in den Augen vieler noch immer als objektivste Behörde der Welt). Viele Richter verkennen m.E., dass sie im Gegensatz zu den Staatsanwälten der Justiz angehören und u.a. dafür zu sorgen haben, dass die Exekutive Mass hält. Angesichts dieser Situation kann man mir und meinen Kollegen höchstens vorwerfen, die Missstände zu wenig dezidiert anzusprechen.
Ich gebe mir im Übrigen Mühe, nicht alle in einen Topf zu werfen und der Unfähigkeit zu bezichtigen. Das steht mir nicht zu. Aber: “Errare humanum est” in Ehren, aber wenn Dreiergremien regelmässig vom Bundesgericht der willkürlichen Rechtsprechung überführt werden, kann man doch nicht einfach weitermachen als wäre nichts geschehen.
Tut mir leid, Herr Kollege, aber der Vorwurf an die Anwaltschaft geht leider etwas weiter. Man beachte einfach mal all die Beschwerden ans Bundesgericht, auf welche dieses mangels genügender Begründung nicht eintritt. Da läge es doch hin und wieder (aber sicherlich nicht immer) am Können des Anwalts, die Beschwerde “korrekt” zu verfassen. Zudem nützt es nichts, einfach zu poltern. Mit stichhaltigen juristischen (trockenen) Argumenten ist bei den Behörden mehr zu erreichen. Staatsanwälte, Richter und Anwälte machen Fehler. Mit Ihrer Homepage tragen Sie hoffentlich dazu bei, dass die Qualität auf allen Ebenen steigt.
Das wäre wunderbar, ja. Natürlich, wir Anwälte machen auch Fehler und investieren oft zu wenig Aufwand (was mitunter auch rein ökonomische Gründe hat und haben muss). Aber vor Bundesgericht ist es halt nicht ganz einfach, das richtige Mass zwischen appellatorischer Kritik und hinreichender Begründung zu treffen.
Affentanz? Als ich vor 13 Jahren in die Schweiz kam dachte ich die Schweiz sei eine Demokratie und ein Rechtsstaat. Jetzt habe ich 3 Verfahren hinter mir. Mit allen Instanzen und über 35 Zustellungen. Aus der Erfahrung kann ich sagen, basierend auf hinreichender Fallzahl, daß es zwar gut 10% vernünftige Richter und Beamte gibt. Dies nützt aber wenig, da man es mit mehreren Personen zu tun hat, jedes Verfahren aus vielen Zustellungen besteht, bei der Postzustellung mit gut 5% Fehlern zu rechnen ist und man nun nicht erwarten kann 365 Tage im Jahr nur auf eine Zustellung eingerichtet zu sein (man ist ja mal auch krank, im Urlaub oder muß sich um ausländische Verwande kümmern). Dieses Verfahren läßt JEDES Verfahren scheitern und ist mittelalterlich. Da wurde auch an die Dorfeiche eine Nachricht genagelt und galt als zugestellt. Jetzt ist es noch schlimmer, da man der Abholungseinladung nichts Wichtiges entnehmen kann. Wieso kann die Domokratie dieses unsägliche, untaugliche Verfahren nicht endlich durch ein Praktikables ersetzen? Und die Politik hat dieses Problem auch noch nicht erkannt? Auch wirtschaftliche Interessen der Anwaltschaft müßten ein Interesse daran haben.
Oder ist die Demokratie überfordert mit komplexen zusammenhängen? Es ist mit Subsidiarität nicht gemeint jedes Verfahren erst einem Bundesrichter vorzulegen oder sich bei dem Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte zu beschwren.