Unzulässige “Dass-Begründung”
Nach über sechs Jahren prozessualer Haft verletzt die Verfahrensleitung des Obergerichts ZH den Gehörsanspruch eines Beschuldigten im Haftentlassungsverfahren gleich mehrfach (BGer 7B_535/2024 vom 03.06.2024).
Die erste Gehörsverletzung ist erstaunlich, zumal die Rechtsprechung zum Replikrecht seit Jahrzehnten absolut klar ist. Hinzu kommt, dass es einfach nicht justizförmig ist, die Staatsanwaltschaft telefonisch Stellung zu einem Haftentlassungsgesuch nehmen zu lassen:
Die Vorinstanz bestreitet nicht, dass sie vor ihrem Haftentscheid die – nur in einer Aktennotiz festgehaltene – mündliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 5. April 2024 dem Beschwerdeführer nicht zugestellt und ihm auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme angesetzt hatte (vgl. Art. 228 Abs. 3 StPO). Auch aus den Vorakten ist nichts anderes ersichtlich. Es liegt mithin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (E. 2.3.2).
Eine weitere Gehörsverletzung liegt in der offenbar nur schwer verständlichen “Dass-Begründung”:
In Haftangelegenheiten ist es unabdingbar, dass Entscheide hinreichend verständlich sind und sich die betroffene Person über deren Tragweite rasch Rechenschaft geben sowie sie in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. Die in der angefochtenen Verfügung verwendete “Dass-Begründung” wird dem durch den mit der mehrjährigen Haftdauer verbundenem massivem Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers nicht gerecht. Bei einer Inhaftierung von rund 6 Jahren und 4 Monaten erfüllt eine solche Formulierung einer zehnseitigen Verfügung die Mindestanforderungen an eine gehörige Begründung nicht und verletzt damit das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers (E. 2.4.2).
In den 80er Jahren lernte ich über ihr Deutsch… …Ein Satz mit der Konjunktion “dass” ist ein Ergänzungssatz. Das bedeutet, dass der Hauptsatz alleine keinen Sinn macht. Erst durch den Nebensatz mit “dass” ist der ganze Satz komplett.
In Deutschen Urteilen passiert das oft, Schweizer Juristen reagieren oft allergisch auf die komplizierten Strukturen. Ich empfinde Schweizer Urteile von der Sprache her oft verständlicher, wenn nicht so oft Vorurteile und persönliche Einstellungen zu erlesen sind. Das macht es unprofessionell.
„Dass-Begründungen“ sind auf Deutsch vor allem deshalb schwer lesbar und daher eher ungeeignet, weil die deutsche Sprache die Reihenfolge der Wörter im „Dass-Satz“ gegenüber der normalen Reihenfolge umstellt (Inversion). Man muss also lauter Satzteile mit ungewohnter Reihenfolge der Wörter lesen, die sonst Hauptsätze mit normaler Reihenfolge wären. Noch komplizierter wird es, wenn noch weitere Nebensätze eingefügt werden. Vor allem für Personen, die nicht deutscher Muttersprache sind, stellt dies eine besondere Komplizierung dar. Denn viele davon haben genau Mühe mit der Inversion und wenden sie nicht an. In Sprachen, welche diese Besonderheit nicht aufweisen (eigentlich alle, die ich kenne), gefallen mir „Dass-Begründungen“ bei kurzen Begründungen durchaus.