Unzulässige Mehrfachverteidigung

Dass ein Verteidiger im selben Verfahren mehrere Beschuldigte vertreten kann, ist nach Art. 127 Abs. 3 StPO nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Schranken setzen Gesetz und – es ärgert mich je länger je mehr – die Standesregeln. Der Gesetzgeber hätte wohl einfach sagen können, dass (potentielle) Interessenkollisionen einer Mehrfachverteidigung entgegen stehen, denn darum geht es.

Eine potentielle Interessenkollision erkannte eine Einzelrichterin im Kanton Neuenburg und verbot einem Anwalt, im selben Verfahren sechs Beschuldigte zu vertreten. Diesen Entscheid hat nun auch das Bundesgericht in einem zur Publikation vorgesehenen Urteil bestätigt (BGE 1B_98/2015 vom 28.07.2015). Darin geht es um ein Strafverfahren wegen Ehrverletzungsdelikten, das eine Arbeitgeberin  gegen drei Gewerkschafter und drei ehemalige Angestellte erwirkt hatte. Abgesehen davon, dass es wohl auch taktisch nicht besonderes klug war, dass ein Anwalt beide Gruppen vertrat (s. dazu aber die mögliche Verjährungsverteidigung am Ende dieses Beitrags), waren aufgrund der völlig unterschiedlichen Tatbeiträge potentielle Interessenkollisionen offenkundig.

Was ich mich aber frage ist, ob die zuständige Sachrichterin in einem solchen Fall tatsächlich eingreifen musste, zumal es sich nicht um ein Strafverfahren handelte, in welchem eine formelle Verteidigung notwendig oder im Sinne des Gesetzes geboten war. Genauso gut wie einzelne Beschuldigten in einem solchen Bagatellstrafverfahren auf einen Anwalt verzichten können, sollten sie sich doch auch von einem Anwalt vertreten können, der auch noch andere vertritt. Aber vielleicht geht es in diesem Verfahren ohnehin nur darum, die Verjährung anzustreben. Es läuft immerhin seit über drei Jahren.