Unzulässiges Ausforschen der Privatkorrespondenz
Das Bundesgericht kassiert einen Entsiegelungsentscheid und stellt klar, dass die Strafverfolgung auch Geheimhaltungsinteressen zu beachten hat, welche die Privatsphäre betreffen (BGer 1B_269/2017 vom 25.10.2017). Viele kantonale Zwangsmassnahmengericht haben das nämlich noch immer nicht realisiert.
Der Entscheid äussert sich kurz und klar zu den Voraussetzungen rechtmässiger Durchsuchungen und kommt im Ergebnis zum Schluss, dass hier wohl unzulässige Beweisausforschung betrieben werden sollte:
Zwar kann nicht zum Vornherein ausgeschlossen werden, dass die versiegelten Briefe Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Beschuldigten und dessen psychische Verfassung zulassen, die auch bei einer gutachterlichen Risikoeinschätzung mit Blick auf eine gegebenenfalls anzuordnende Massnahme Berücksichtigung finden könnten. Die Staatsanwaltschaft versäumt es aber, in rechtsgenüglicher Weise aufzuzeigen, inwiefern sich vermutungsweise aus dem Briefwechsel einschlägige Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft beim Beschwerdeführer ergeben würden. Der blosse Hinweis, er habe offenbar ein zerstrittenes Verhältnis zu seinem Vater gehabt, reicht dafür nicht aus, zumal die kantonalen Behörden im vorliegenden Verfahren nichts vorbringen, das darauf hindeutete, dass er bereits in der Vergangenheit mit unkontrollierten Gewaltausbrüchen negativ in Erscheinung getreten wäre. Überdies ist relativierend anzumerken, dass es für die Gutachterin zwar insbesondere im Rahmen der Anamnese nützlich sein könnte, auf die persönliche Korrespondenz des Beschwerdeführers zurückzugreifen. Die Möglichkeit der Vornahme einer sachverständigen Begutachtung entfiele durch deren Aussonderung aus den Akten aber nicht (vgl. Urteil 1B_342/2016 vom 12. Dezember 2016 E. 3.3). Zudem ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Briefe bereits älteren Datums sind. Sie vermögen allenfalls über die damalige psychische Verfassung des Beschwerdeführers, wie sie sich im Verhältnis zu seinen Eltern äusserte, Aufschluss zu geben. Diese muss indes nicht mit seinem Zustand im Zeitpunkt der angeblichen Straftat übereinstimmen, weshalb die Briefe auch im Hinblick auf die Beurteilung seiner Zurechnungsfähigkeit kaum relevant sein dürften. Ausserdem bestehen aufgrund der zeitlichen Abfolge der Ereignisse keinerlei Anzeichen dafür, dass das Verhältnis des Beschwerdeführers zum mutmasslichen Opfer bzw. die vermeintliche Tat selbst im Briefwechsel mit seinen Eltern thematisiert worden wäre. Die Korrespondenz ist somit wahrscheinlich untauglich, die Hintergründe und Umstände des vermuteten Delikts zu erhellen. Sie weist keinen unmittelbaren Bezug zu der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat auf und kann insofern nicht zur Aufklärung entsprechender Verdachtsmomente beitragen. Vielmehr erhoffen sich die kantonalen Behörden aus deren Auswertung lediglich, allgemeine Hinweise auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers und dessen Verhältnisse zu erhalten. Damit gelingt es ihnen aber nicht, einen hinreichend engen Sachzusammenhang zwischen dem Gegenstand der Strafuntersuchung und der versiegelten Privatkorrespondenz aufzuzeigen bzw. deren Erheblichkeit für den Untersuchungszweck darzulegen. Die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft erweckt daher den Eindruck einer unzulässigen Beweisausforschung (sog. fishing expedition) [E, 3,2].
Wohltuend, dass wenigstens eine Instanz in der Schweizerischen Justiz regelmässig den Mut hat, auch bei behaupteten (versuchten) Tötungsdelikte das Gesetz mit der nötigen Sachlichkeit anzuwenden und nicht einfach alle Anträge der Staatsanwaltschaft durchwinkt. Das dürfte m.E. jedoch im Wesentlichen auf die geographische sowie zwischenmenschliche Distanz zurückzuführen sein…