Unzulässige Nichtanhandnahmeverfügung
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gegen eine Nichtanhandnahmeverfügung gut und verpflichtet die zuständige Staatsanwaltschaft, eine Strafuntersuchung zu eröffnen (BGE 1B_365/2011 vom 30.09.2011; Publikation in der AS vorgesehen). Es äussert sich umfassend zum Anwendungsbereich von Art. 310 StPO (Nichtanhandnahmeverfügung) und fasst ihn eng:
Nach dem Wortlaut von Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO muss somit feststehen, dass “die fraglichen Straftatbestände (…) eindeutig nicht erfüllt sind”. Es muss mit anderen Worten sicher sein, dass der Sachverhalt unter keinen Straftatbestand fällt, was etwa der Fall ist bei rein zivilrechtlichen Streitigkeiten (…). Eine Nichtanhandnahme darf nur in sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fällen ergehen (…). Insbesondere ist bei Ereignissen mit schwerwiegenden Folgen in der Regel eine Untersuchung durchzuführen. Dies gilt namentlich, wenn eine Person bei einem Unfall eine schwere Körperverletzung erleidet und eine strafrechtliche Drittverantwortung nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (…). Im Zweifelsfall ist folglich eine Untersuchung zu eröffnen. Ergibt sich nach durchgeführter Untersuchung, dass kein Straftatbestand erfüllt ist, stellt die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gestützt auf Art. 319 StPO ein (E. 2.3).
Auf den Sachverhalt angewendet bedeuten diese Erwägungen, dass die Nichtanhandnahme bundesrechtswidrig war:
Wenn, wie vorliegend, eine Person bei einem Unfall eine schwere Körperverletzung erleidet und die Entscheidung, ob sich jemand eine Sorgfaltspflichtverletzung hat zu Schulden kommen lassen, detaillierter Sachverhaltsabklärungen und einer eingehenden rechtlichen Würdigung bedarf, dann besteht kein Raum für den Erlass einer Nichtanhandnahmeverfügung. Vielmehr ist diesfalls zwingend eine Strafuntersuchung zu eröffnen, in deren Rahmen die Pistenverantwortlichen einzuvernehmen sind. Erst nach durchgeführter Untersuchung hat die Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob sie einen Strafbefehl erlässt, das Verfahren einstellt oder Anklage erhebt (vgl. Art. 318 Abs. 1 StPO) (E. 2.5).
Hmmm… scheint mir etwas gar formalistisch, zumal sich das Bundesgericht überhaupt nicht mit der eingehenden Begründung der Vorinstanz auseinandergesetzt hat, wonach aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und des Unfallhergangs gar keine Sorgfaltspflichtverletzung (von irgendjemandem) ersichtlich ist. Wenn dem so ist, worüber soll denn die Staatsanwaltschaft nun noch eine Untersuchung führen bzw. was soll sie den jetzt gemäss Bundesgericht zu befragenden Pistenverantwortlichen überhaupt vorwerfen?
Das Bundesgericht war mit guten Gründen immer sehr kritisch gegen die Erledigung von Verfahren durch Nichteintreten oder Nichtanhandnahme. Wird die Untersuchung förmlich eröffnet und führt zu keinem hinreichenden Verdacht, kann sie ja dann eingestellt werden. In einem solchen Verfahren ist sind dann aber immerhin die Rechte und Pflichten der Betroffenen klar. Es ist m.E. nicht richtig, sozusagen ausserhalb eines förmlichen Verfahrens zu ermitteln. Das darf nur sein, wenn jeder Verdacht auf eine Straftat zum Vornherein auszuschliessen ist.
Das ist genau das Problem: Bereits die Eröffnung der Untersuchung bedarf in der Regel gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO eines hinreichenden Tatverdachts (bezüglich eines konkreten Delikts). Entsprechend kann bei Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts eigentlich keine Untersuchung eröffnet werden und es wäre die Nichtanhandnahme zu verfügen. Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO erklärt die Nichtanhandnahme jedoch nur für zulässig, wenn die fraglichen Tatbestände oder Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind. Zwischen diesen beiden Bestimmungen besteht eine offenkundige Diskrepanz, zu der sich das Bundesgericht leider auch nicht näher geäussert hat. Und die Frage bleibt: Was soll die Staatsanwaltschaft denn hier jetzt noch untersuchen? bzw. Was hat irgendjemand davon, wenn die Staatsanwaltschaft künftig in Nachachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in derartigen Fällen immer ein formelles Verfahren eröffnen, dieses aber dann sogleich (mangels hinreichendem Tatverdacht) wieder einstellen muss?
Das sehe ich schon. NIcht kohärent ist wohl, dass die Eröffnung nach Art. 309 Abs. 1 StPO bereits einen hinreichenden Tatverdacht voraussetzt und dass die verschiedenen Grade des Tatverdachts in der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung nie ausreichend geklärt wurden. Die Idee dahinter ist wohl folgende: Kommt eine Straftat in Frage, ist zu eröffnen. In der Untersuchung werden dann die Weichen gestellt. Ihre Ergebnisse können den Tatverdacht be- oder entkräftigen. Wird er entkräftigt, dann Einstellung. Für die Nichtanhandnahmeverfügung wird der Anwendungsbereich damit aber extrem eng. Genau das will das Bundesgericht, wenn ich es richtig interpretiere. Und nochmals: falsch erscheint mir das nicht, auch wenn mir durchaus klar ist, dass solche Fälle dann in aller Regel halt zur Einstellung führen..
Man darf davon ausgehen, dass der zuständige Staatsanwalt die Einvernahmen mit Begeisterung durchführen wird. Zu welchem Schluss er danach gelangen wird, erscheint ebenfalls naheliegend. Aber wahrscheinlich wird sich Lausanne auch zur Einstellungsverfügung äussern dürfen…