Update: Nichtiger Haftentscheid

Erst vor ein paar Tagen habe ich hier über ein Urteils des Bundesstrafgerichts (BH.2006.18 vom 03.08.2006) berichtet, das einen Haftentscheid als nichtig qualifiziert hatte. Dagegen hat die Bundesanwaltschaft Beschwerde geführt. Diese hat das Bundesgericht war abgewiesen, dann aber einigermassen überraschend gleich selbst über die Haft entschieden und damit die Bundesanwaltschaft geschützt (Urteil 1S.11/2006 vom 31.08.2006):

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde zwar als unbegründet abzuweisen. Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich jedoch im Lichte des Beschleunigungsgebotes von Art. 31 Abs. 4 BV, die Haftsache nicht dem eidg. URA oder der Beschwerdekammer als Haftgericht gemäss Art. 52 Abs. 2 BStP) zur materiellen Behandlung zu übermitteln, sondern ausnahmsweise direkt durch das Bundesgericht zu behandeln (E. 5).

Das Bundesgericht verwies auf seine Praxis, wonach gerade im Prostitutionsmilieu in der Regel von einer erhöhten Gefahr von Druckversuchen bzw. Kollusionsneigung ausgegangen werden müsse:

Zwar haben im vorliegenden Fall schon zahlreiche Befragungen von Auskunftspersonen und Zeug(inn)en stattgefunden. Wie sich aus den Akten ergibt, stehen jedoch noch weitere Einvernahmen von anderen Gewährspersonen aus, insbesondere aus dem Umfeld des Beschuldigten. Die Ermittler werfen ihm ausserdem vor, er habe in die Schweiz eingeschleuste Frauen angewiesen, gegenüber der Polizei und Dritten keine Angaben zu machen über die Art und Weise ihrer Einreise sowie über die Verhältnisse in den fraglichen Bordellen. Zwar gebe es unterschiedliche Aussagen über die Gewaltbereitschaft des Beschuldigten; in dem von ihm frequentierten Prostitutionsmilieu herrsche jedoch ein “Klima der Angst”, was sich auf die Aussagebereitschaft der Betroffenen auswirke. Darüber hinaus befindet sich der vorliegende komplexe Fall noch in einem relativ frühen Stadium der Ermittlungen. Die Untersuchung ist nicht abgeschlossen (E. 6.2).

Im Weiteren stellte das Bundesgericht fest, dass ein Haftprüfungsverfahren, das bis zur richterlichen Entscheidung zwei Monate dauert, grundsätzlich nicht mehr als “raschestmöglich” im Sinne von Art. 31 Abs. 4 BV angesehen werden könne. Die “Konsequenzen” zieht es wie folgt:

Die Verletzung des Beschleunigungsgebotes im Haftprüfungsverfahren führt in der Regel nicht automatisch zur Haftentlassung des Angeschuldigten, sofern – wie hier – materielle Haftgründe gegeben sind und auch die Haftdauer noch verhältnismässig ist. In einem solchen Fall genügt nach der Praxis grundsätzlich die Feststellung der Verletzung von Verfahrensrechten. Das Haftentlassungsgesuch hingegen ist abzuweisen ( E. 8.2).

Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Beschleunigungsgebot in denjenigen Fällen nicht zu beachten ist, in denen ein materieller Haftgrund besteht und die Haftdauer noch nicht unverhältnismässig ist (also noch nicht in der Nähe der zu erwartenden Freiheitsstrafe liegt). Art. 5 Ziff. 4 EMRK sagt dagegen folgendes (Hervorhebung durch mich):

Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn der Freiheitsentzug nicht rechtmässig ist.

Ich bin jetzt nicht sicher, ob der EGMR diese Frage schon entschieden hat. Falls nicht, müsste man damit mal nach Strassburg. Mir erscheint die Konventionsverletzung als offensichtlich.