Update: Prozessfalle elektronischer Rechtsverkehr

Hier noch ein paar Hinweise zur ZPO-Praxis im Kanton Zürich, auf den mich ein Leser verdankenswerterweise aufmerksam gemacht hatte (Obergericht ZH, II. Zivilkammer, Beschluss und Urteil vom 11. Juli 2012, Geschäfts-Nr.: LY120016-O/U):

Die Regeste:

Art. 143 Abs. 2 ZPO, technische Mängel der aktuellen Systeme. So lange die Zustellplattform des Obergerichts dem Absender einer elektronischen Eingabe keine Eingangsbestätigung im Sinne von Art. 143 Abs. 2 ZPO zustellt, ist auf den fristgerechten Eingang abzustellen und auf das Erfordernis einer entsprechenden Bestätigung vor Fristablauf durch die Zustellplattform zu verzichten.

Der Sachverhalt:

Der Rechtsvertreter der Berufungsklägerin reichte die Berufungsbegründung als elektronische Eingabe ein. Er versandte sie, korrekt elektronisch signiert, am 26. April 2012 um 23:51 Uhr per Email von seinem Computer. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Fristablauf um Mitternacht des 26. April 2012 (Art. 314 Abs. 1 ZPO) stellt sich die Frage der Rechtzeitigkeit der elektronischen Eingabe.

Aus den Erwägungen:

Ihre Eingabe hat die Zustellplattform des Obergerichts gemäss IncaMail am 26. April 2012 um 23:51:11 Uhr erreicht und wurde nur Hundertstelsekunden später, um 23:51:38 MESZ ans Empfängersystem des Obergerichts ausgegeben. Damit hat die Berufungsklägerin aber noch nicht die vom Gesetz verlangte, vor Fristablauf ausgestellte Bestätigung der Zustellplattform des Obergerichts vorgelegt. Das Eintreffen der Eingabe auf der Zustellplattform des Obergerichts wird dem Absender aufgrund der derzeitigen technischen Ausgestaltung des Datenverkehrs zwischen den anerkannten Zustellplattformen nicht dokumentiert, bzw. erst, wenn die elektronischen Eingabe durch einen Mitarbeiter des Obergerichts angenommen bzw. abgelehnt wird. Auf diesen Zeitpunkt abzustellen wäre (nicht nur im Vergleich mit Eingaben per Post) äusserst unzweckmässig. So würde nämlich die Fristwahrung bei elektronischen Eingaben willkürlich von der Anwesenheit des Gerichtspersonals bzw. der Bedienung des Computersystems durch dieses abhängig gemacht: Das Instrument der elektronischen Eingabe würde dadurch praktisch unbrauchbar, müsste sich der Absender einer elektronischen Eingabe doch stets versichern, dass beim empfangenden Gericht ein Mitarbeiter am Computer sitzt, der die Eingabe vor Fristablauf annimmt. Darum und zur Vermeidung eines überspitzten Formalismus ist deshalb einstweilen und solange die Zustellplattform des Obergerichts dem Absender einer elektronischen Eingabe keine Eingangsbestätigung im Sinne von Art. 143 Abs. 2 ZPO zustellt, lediglich auf den fristgerechten Eingang von elektronischen Eingaben bei der Zustellplattform des Obergerichts abzustellen und auf das Erfordernis der Ausstellung einer entsprechenden Bestätigung vor Fristablauf durch die Zustellplattform einstweilen zu verzichten. Dies befreit den Absender einer elektronischen Eingabe hingegen nicht davon, – falls fraglich – den rechtzeitigen Eingang der Eingabe auf der Zustellplattform des Obergerichts nachzuweisen. Dieser Nachweis ist der Berufungsklägerin vorliegend gelungen. Die Berufung wurde folglich fristgerecht erhoben.

Zum Glück erging dieser – soweit ersichtlich – erste Entscheid in einer Zivilsache. Ich bin nicht sicher, ob eine Strafbehörde die analoge Bestimmung von Art. 91 StPO gleich angewendet hätte. Ein Strafgericht hätte vielleicht im Interesse des guten Funktionierens der Strafjustiz festgestellt, das Rechtsmittel sei verspätet eingereicht worden.