Update: Was läuft falsch in Bellinzona?

In einem früheren Beitrag machte ich ein paar Bemerkungen im Zusammenhang mit den letzten beiden Urteilen der Strafkammer des Bundesstrafgerichts. Die SonntagsZeitung berichtete nun am Wochenende, dass Ramos die Drogengeschäfte vermittelt haben soll, was in den Strafakten aber nicht vermerkt gewesen war. Die SonntagsZeitung geht davon aus, dass nun das Bundesgericht über die Frage entscheiden müsse, ob Ramos legal eingesetzt wurde:

Nicht in den Akten erwähnt wurde hingegen die Rolle eines zweiten Spitzels: die von José Ma­nuel Ramos. Er war es, der G. erst die Liefe­rung grosser Mengen Kokain aus Kolumbien anbot und ihn dann auf die Wohnung aufmerksam machte, die angeblich ein Kollege von ihm untervermieten wollte. G.s Anwältin hatte vor Gericht zwar vorgebracht, «ein Kolumbianer» habe ihrem Mandanten im Auftrag der Bundeskriminalpolizei Drogennachschub offeriert – weil Wyser aber den Einsatz verdeckter Ermittler abstritt und es keine Dokumente gab, welche G.s Aussage belegten, fand die Verteidigerin kein Gehör. Ramos selbst erklärte auf Anfrage der SonntagsZeitung, der Fall sei «einer der meinen». Ausserdem wird die «Operation Flat», wie die Ermittler die Aktion in Anspielung auf die konspirative Wohnung sinnigerweise tauften, in einem von 40 geheimen Rapporten beschrieben, die die Bundeskriminalpolizei zum Einsatz von Ramos verfasst hat. So wird sich bald zum ersten Mal ein Gericht damit befassen, ob Ramos’ V-Mann-Tätigkeit tatsächlich legal war – denn das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ausgerechnet Wyser hatte Beschwerde dagegen eingelegt, weil er glaubte, die Angeschuldigten seien zu milde bestraft worden.

Dem Urteil selbst (SK.2006.4 vom 22.08.2006) ist dazu folgendes zu entnehmen (Hervorhebungen durch mich):

5.1 Die Verteidigerin des Angeklagten A. bringt vor, die Bundeskriminalpolizei habe zwei verdeckte Ermittler eingesetzt: Einen Kolumbianer, welcher A. (erfolglos) einen Handel mit grösseren Mengen Kokain aus Kolumbien angeboten und ihm die Wohnung an der V.-Strasse in Z. vermittelt habe, und einen Schweizer, der als Vermieter der Wohnung an der V.-Strasse in Z. aufgetreten sei. Da weder für die Ernennung, noch für den Einsatz der verdeckten Ermittler eine Bewilligung vorgelegen habe, seien die daraus gewonnenen Beweise nicht verwertbar. So habe das Telefon von A. nicht abgehört werden dürfen, weil die Eruierung seiner Handy-Nummer durch die verdeckten Ermittler erfolgt sei.

Die Bundesanwaltschaft bestreitet, dass verdeckte Ermittler eingesetzt worden seien.

5.2 Aus den Akten geht hervor, dass der geschiedene Mann von O. – der Lebenspartnerin von A. – im Mai 2003 den Ermittlungsbehörden einen anonymen Brief zustellte, worin er A. (beziehungsweise den Mitbewohner von O.) des Drogenhandels bezichtigte. Er anerkannte, anlässlich der Einvernahme vom 18. Mai 2004, den Brief verfasst zu haben (…). Hinweise dafür, dass verdeckte Ermittler den Angeklagten zu den ihm vorgeworfenen Drogengeschäften bewogen hätten, liegen hingegen keine vor. Auch wurde anlässlich der Hauptverhandlung erstmals davon beziehungsweise vom Kontakt des Angeklagten A. zu einem (namentlich nicht bekannten) kolumbianischen Drogenhändler berichtet.

5.3 Indessen ist den Akten zu entnehmen, dass die Bundeskriminalpolizei, Mieterin der Wohnung an der V.-Strasse in Z. (…) respektive im Haus Nr. 19 war (…), diese durch einen ihrer Funktionäre am 13. September 2003 an A. untervermietete (…) und sogleich audiovisuell überwachte (…). Die Vermietung erfolgte vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die verdeckte Ermittlung vom 20. Juni 2003 (SR 312.8). Dementsprechend handelt ein verdeckter Ermittler widerrechtlich, wenn er die Zielperson zu einer Straftat anstiftet, und verletzt der Staat, wenn er dafür die Verantwortung hat, die Pflicht zum fairen Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK (BGE 124 IV E. 3 d/aa); in diesem Fall kann ein strafrechtlicher Schuldvorwurf nicht mehr erhoben werden, ausser die Tatbeteiligung des Ermittlers habe diejenige der Zielperson „nicht völlig in den Hintergrund zu drängen“ vermocht (E. 3e). Nun anerkennt der Angeklagte A., schon vor dem Einzug in die Wohnung V.-Strasse in Z., mit Drogen gehandelt und die Einfuhr der am 18. September 2003 in Z. eingetroffenen Drogen aus Venezuela bei L. beziehungsweise M. veranlasst zu haben. Der Angeklagte hat daher den Entschluss zur Tat vor der Wohnungsmiete selbstständig gefasst (siehe auch BGE 124 IV 34 E. 2c). Gewiss wurde ihm das Drogengeschäft durch das zur Verfügung haben einer für Drogenverarbeitung und –handel geeigneten Wohnung erleichtert. Er hatte jedoch – wie er selbst anerkennt – auch ohne diese Wohnung Gelegenheit, Drogen zu kaufen, zu verarbeiten und zu verkaufen, nämlich in der durch B. gemieteten Wohnung an der U.-Strasse und auf der Strasse. Die Vermietung der Wohnung durch einen Polizeifunktionär verwirkt infolgedessen den staatlichen Strafanspruch nicht, ist aber im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Für mich liefert der Fall nach wie vor mehr Fragen als Antworten. Warum hat der Angeklagte bspw. nicht gesagt, dass es sich beim kolumbianischen Drogenhändler um Ramos handelte? Warum wurden keine Beweisanträge (zB Edition der Einsatzberichte) zu diesem kolumbianischen Drogenhändler gestellt?

Aber vielleicht ist der Bericht der SonntagsZeitung ja auch nicht ganz vertrauenswürdig; immerhin basiert er ja auf Erklärungen, welche die “Vertrauensperson” Ramos auf Anfrage abgegeben hatte.