Verbindliche Anträge der Staatsanwaltschaft?

In einem zur Publikation in der AS vorgesehenen Urteil kommt das Bundesgericht zum Schluss, der Haftichter dürfe keine prozessuale Haft anordnen, wenn die Staatsanwaltschaft lediglich Ersatzmassnahmen beantrage (BGE 1B_419/2015 vom 21.12.2015).

Das begründet das Bundesgericht nach ausführlicher Darstellung der Lehre und der Materialien wie folgt:

Erachtet sie somit, nachdem sie den belastenden und entlastenden Umständen mit gleicher Sorgfalt nachgegangen ist und eingehende Kenntnisse des Straffalls erworben hat (Art. 6 StPO), im konkreten Einzelfall Ersatzmassnahmen für die Durchführung des Strafverfahrens als ausreichend, kann sich das Zwangsmassnahmengericht nicht darüber hinwegsetzen und an deren Stelle Untersuchungshaft anordnen, ansonsten es sich in die Führung des Strafverfahrens einmischt und sich Kompetenzen anmasst, die ihm von Gesetzes wegen nicht zustehen. Seine Funktion liegt vielmehr in der Kontrolle der Rechtmässigkeit der beantragten Zwangsmassnahmen, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit (E. 3.4).

Es kommt damit zu folgendem Ergebnis, das mit in einem Punkt allerdings eher peinlich anmutet:

Aus all diesen Gründen ist das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung in der StPO als qualifiziertes Schweigen einzustufen. Das Zwangsmassnahmengericht kann von Gesetzes wegen keine Untersuchungshaft verfügen oder aufrechterhalten, wenn die Staatsanwaltschaft lediglich Ersatzmassnahmen beantragt hat. Sind deren Voraussetzungen erfüllt, kann es zwar in Abweichung des Antrags der Staatsanwaltschaft und unter Wahrung des rechtlichen Gehörs andere oder eine Kombination von Ersatzmassnahmen anordnen, die insgesamt stärker in die Grundrechtsposition des Beschuldigten eingreifen (vgl. Art. 10 Abs. 2 BV; BGE 133 I 27 E. 3.5 S. 32). Um aber auf Untersuchungshaft erkennen zu können, bedarf es eines entsprechenden Begehrens der Staatsanwaltschaft. Diese hat mithin mindestens im Eventualstandpunkt einen Haftantrag zu stellen, wenn der Beschuldigte für den Fall, dass die Ersatzmassnahmen mit Blick auf die angestrebten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele (z.B. die Sicherstellung seiner Anwesenheit im Strafverfahren) eine bloss unzureichende Wirkung entfalten könnten, nicht freizulassen ist (E. 3.5).

Was daran peinlich ist, ist die Hintertür mit dem Eventualantrag der Staatsanwaltschaft, der ja dann über den Hauptantrag hinausgeht und somit gar kein Eventualantrag sein kann (das Bundesgericht spricht vielleicht deshalb bloss von Eventualstandpunkt, was die Sache aber nicht besser macht). Und wieso die Hintertür? Sie war nötig, um die Beschwerde abweisen zu können, obwohl sich der Beschwerdeführer eigentlich durchgesetzt hat. Den Eventualantrag konstruiert das Bundesgericht dann wie folgt:

In materieller Hinsicht handelt es sich um einen Antrag an das Zwangsmassnahmengericht, auf den ursprünglichen Haftanordnungsentscheid wegen veränderter Verhältnisse zurückzukommen. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass das Begehren bereits etwas mehr als einen Monat vor Ablauf der Dauer der erstmalig angeordneten Untersuchungshaft gestellt und darin beantragt wurde, das bestehende Haftregime sei anzupassen. Da der Rückkommensantrag somit noch während der laufenden Untersuchungshaft beim Zwangsmassnahmengericht anhängig gemacht worden war, stand es diesem zu, den Antrag abzuweisen und damit die bereits bewilligte strafprozessuale Haft aufrechtzuerhalten, falls sich die beantragten Ersatzmassnahmen als ungeeignet erweisen sollten. Dass die Untersuchungshaft (zumindest eventualiter) fortzuführen sei, lässt sich denn auch aus dem prozessualen Verhalten der Staatsanwaltschaft schliessen. So wollte sie dem vom Beschwerdeführer am 9. September 2015 gestellten Haftentlassungsgesuch nicht entsprechen, sondern war der Auffassung, die Untersuchungshaft sei beizubehalten (E. 4.1).

Bin gespannt auf die Kommentierungen dieses Entscheids.