Verbot von Suggestivfragen: “Können Sie das bestätigen?”
Manchmal muss das Bundesgericht die halbe Strafprozessordnung deklinieren, um alle Rügen eines Beschwerdeführers materiell abzuhandeln. Ein solches Beispiel findet sich in BGer 6B_676/2013 vom 28.04.2014. Eine Rolle spielte auch in diesem Entscheid wieder die Frage nach dem Verbot von Suggestivfragen (vgl. dazu meinen früheren Beitrag).
Im hier zu besprechenden Entscheid, der nach demjenigen im eben erwähnten früheren Beitrag erging, stellt das Bundesgericht nur fest, dass das Verbot von Suggesitvfragen unter altem Recht lediglich eine Ordnungsvorschrift darstellte:
Unklare, mehrdeutige oder suggestiv angelegte Fragen, welche eine bestimmte Antwort nahe legen oder eine bestimmte Erwartung des Vernehmenden erkennen lassen, sind unzulässig. Der Vorhalt bei der an Y. gerichteten Frage legt nicht eine bestimmte Antwort nahe. Der Mitangeklagte wurde im Anschluss an den Vorhalt klar gefragt, “können Sie das bestätigen?” Diese Formulierung lässt weder eine bestimmte Erwartung des Fragenden erkennen noch lässt sie nur eine eingeschränkte Auswahl an Antworten zu. Selbst wenn man eine Suggestivfrage bejahen wollte, führte dies nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage, da das Verbot von Suggestivfragen, soweit diese jedenfalls nicht einer Täuschung (§ 154 StPO/ZH) gleichkommen, nach dem früheren kantonalen Strafprozessrecht lediglich eine Ordnungsvorschrift darstellte (Schmid, Strafprozessrecht, N 627; Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, 2007, § 153 N 1 ff., 14 f. und § 154 N 5 ff., 28; vgl. auch § 144 N 6 f., N 9 f.; ferner Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 62 N 11; Daniel Häring, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, Art. 143 StPO N 37). Inwiefern Y. durch den Hinweis auf das TK-Protokoll getäuscht worden sein soll, ist unerfindlich (E. 4.4.3, Hervorhebungen durch mich).
“Können Sie das bestätigen” lässt also keine Erwartung des Fragenden erkennen und lässt eine uneingeschränkte Auswahl an Antworten zu? Das sehe ich nun aber komplett anders und ausnahmsweise bin ich sehr sicher, dass meine Sicht nicht falsch ist. Mich ärgert fast nichts so sehr wie diese Frage, weil die Antwort ausnahmslos immer dieselbe ist, nämlich ja. Das muss angesichts der unbeschränkten Auswahl an möglichen Antworten sicherlich Zufall sein.
Jetzt aber noch zu den Ausführungen zum Verbot von Suggestivfragen und wie sich das Bundesgericht im eingangs angesprochenen (später ergangenen) Entscheid dazu äusserte:
Das Verbot von Suggestivfragen ist als Ordnungsvorschrift ausgestaltet, weshalb Antworten trotz suggestiver Frageweise grundsätzlich verwertbar sind. Der Art, wie sie erlangt wurden, ist bei der Würdigung der entsprechenden Aussagen Rechnung zu tragen
Innert dreier Tagen hat die Strafrechtliche Abteilung somit entschieden, dass das Verbot von Suggestivfragen auch nach StPO bloss Ordnungsvorschrift sei. Es dürfte sich um das einzige Verbot handeln, das nur ein Ordnungsverbot und damit eben gar keines ist.
Es liegt meist keine Suggestivfrage vor, sondern ein schlichter Vorhalt, zu dem eine Stellungnahme gefordert wird. Natürlich könnte man nach dem Vorhalt auch einfach auffordern “bitte nehmen Sie hierzu Stellung”, statt nach der Bestätigung zu fragen, doch wo ist der Unterschied?
“Aufgrund der Aktenlage/Aussage/etc. gehe ich davon aus, dass XYZ; ist das korrekt/können Sie das bestätigen?”
Wesentlich ist m.E. nicht die Frage nach der Bestätigung bzw. Verneinung, sondern das, was voher kam. Denn nicht in der anschliessenden Frage ist die Suggestion enthalten, sondern im Vorhalt. Dieser ist daher vernünftig zu formulieren und bei Möglichkeit zu begründen:
“Sie haben doch in XY gestern ABC gemacht, stimmt das?”
im Unterschied zu
“Der Zeuge Soundso gibt an, sie gestern in XY gesehen zu haben, wie sie ABC gemacht haben; ist das richtig?”
Dass ein Vorhalt natürlich tatsächlich meist eine bestimmte Erwartung des Vernehmenden erkennen lässt, ist richtig, aber aufgrund des bestehenden Tatverdachtes auch nur logisch.Wichtig ist nur, dass die anschliessende Aufforderung sich zu erklären, auch klar beide Antwortmöglichkeiten offen lassen muss. Das hat das BGer zurecht so festgehalten.
Suggestion ist zurecht untersagt, aber ist sie in der Praxis tatsächlich ein Problem?
Sind die Vernehmenden tatsächlich derartige psychologische Genies, dass sie den zu Vernehmenden nicht den Tatsachen entsprechende Aussagen in den Mund legen können?
Ich glaube, die Problematik wird hier übertrieben, auch wenn man sensibel bleiben sollte.
Dieser Entscheid ist auch bezüglich anderer Themen fragwürdig:
Verletzung des Teilnahmerechts wird hingenommen. Verletzung der TK-Formalitäten (Übersetzung / Protokollierung) wird hingenommen. Fehlende Akten werden hingenommen. Fehlender Strafenvergleich mit Mittätern wird hingenommen. Etc.
Das Ganze sieht doch stark nach Erledigungsprinzip und Massengeschäft aus.
Ich bin nicht der Ansicht, dass Suggestivfragen zulässig sein sollen. Aber ich sehe nicht was an “können Sie das bestätigen?” suggestiv ist. Man kann ja Nein sagen (oder gar nichts, was ich immer noch so ziemlich für das Beste halte). Andererseits kommt es wohl auf den Kontext an – je nach dem kann die Frage sicher durchaus suggestiv wirken.
Es gibt durchaus andere Antworten, zum Beispiel “Nein” oder “Naja”. Letztere lässt eine detaillierte Auseinandersetzung zu. Man könnte auch antworten “Das lässt sich so nicht sagen” oder “es kommt drauf an”. Die Frage allein, fernab des konkreten Kontextes, ist doch völlig in Ordnung. Ich finde auch nicht, dass der Befragte sich durch die Fragestellung gezwungen sehen könnte etwa mit ja zu antworten wenn er nein denkt.
Angenommen, die strittige Frage wäre suggestiv, wie müsste die Frage formuliert werden, damit sie nicht suggestiv ist?
@Monty’
Den Suggestiv-Charakter dieser Frage erkennt man, wenn man sie mit umgehrter Intension stellt: “Das können Sie (sicher) nicht bestätigen?”
In gewisser Weise haben Sie aber nicht ganz Unrecht (oder sollte ich schreiben: “haben Sie Recht” – merken Sie es? 😉 ). Es kommt stets auf den Kontext an, in dem die jeweilige Frage gestellt wird. Ebenso entscheidend ist die Rolle des Fragenden wie auch die des Antwortenden.
Zeugenbefragungen ohne Grund-Kenntnisse der Aussagepsychologie sind Schüsse ins Blaue.
Wenn ich der Ansicht bin, daß eine Frage “suggestiv” oder unzulässig sein könnte, rüge ich sie. Und allein diese Rüge führt schon zu einer Beeinflussung des Aussageverhaltens, was man wiederum durch die Formulierung der Rüge zielführend nutzen kann.
Spannende Sache, so eine Vernehmung, meinen Sie nicht auch? 🙂
Aussagepsychologie in allen Ehren,
erstens, ist die Sugestibilität nicht bei allen Menschen gleich ausgepräg
und zweitens, ist doch faktisch jede Frage suggestiv bzw. kann jede Frage suggestiv sein, im Zweifel über die Betonung oder Körpersprache.
Wie hätte also bitte die Frage im konkreten Fall lauten müssen, um nicht suggestiv zu sein?
Intressanter Punkt. Wenn man die Körpersprache miteinbezieht, wäre dann wohl die Vorderung nach standartmässigen Videoeinvernahmen nicht mehr weit. Wie sonst kann sich der Ermittler gegen die Behauptung eines RA’s wehren, die Frage sei nicht suggestiv gewesen, aber der Blick des Polizisten war sehr, sehr böse und liess nur eine Antwort zu.
Um also das Problem der Körper- und Blicksuggestion zu umgegehen, würde man den Ermittler in einem anderen Raum paltzieren müssen. Die Befragung erfolgt über ein Kom.-System.
Aber Moment, dann könnte ja noch die Stimmintonation eine Suggestion enthalten. Darum, Videoaufzeichnung, getrennte Zimmer und eine elektronische Stimmmodulation für den Ermittler mit immer gleicher Intonation…
Keine Ahnung, ob du das ernst meinst. Einer gewissen Logik entbehrt es jedenfalls nicht.
Meine naive Frage ist ernst gemeint – ich kann nicht erkennen, wie die Frage frei von Suggestion zu formulieren wäre. Vielleicht stehe ich auf dem Schlauch, aber bitte, wie soll das gehen? Gibts einen Vorschlag?
Suggestionsfrei zu fragen ist nicht schwierig. Man muss es nur wollen. Es müssen einfach gänzlich offene Fragen gestellt werden.
Effektiv gemäss BGE:
“Bei diesem ‘X.a.________’, zu welchem Sie kurz gehen wollten, hatte es sich um den bereits genannten A.X.________ gehandelt. Können Sie das bestätigen?”
Korrekt ohne Suggestion wäre:
“Um wen handelte es sich bei diesem ‘X.a.________’, zu welchem Sie kurz gehen wollten?”
Ev. Zusatzfrage:
“Handelte es sich dabei um den bereits genannten A.X.________ ?”
Jedenfalls muss das mit dem “bestätigen” raus, denn das ist klar suggestiv.
Damals an der Universität hatte ich eine Seminararbeit zum Thema “Suggestivfragen im Strafprozess” zu verfassen. Ich bin auch zum Schluss gekommen, dass unter Zürcherischem Prozessrecht Suggestivfragen nicht (wirklich) verboten waren bzw. dass solche keine Folgen haben. Ob das so sein sollte und ob man das wirklich auch unter neuem Prozessrecht beibehalten will, mag fraglich sein. Das Bundesgericht hat sich offenbar festgelegt.
Es gibt verschiedene Arten von Suggestivfragen, was vielleicht die Diskussion unter den Kommentatoren erklärt. In der Praxis erlebe ich, dass in Einvernahmen im Rahmen von Strafverfahren eigentlich ausschliesslich Suggestivfragen gestellt werden, und zwar von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht gleichermassen.
Erstaunt bin ich allerdings auch immer wieder darüber, wie wenig dies von Verteidigerseite moniert wird bzw. wie wenig es (vor Gericht) als Argument gegen den Beweiswert einer Aussage vorgebracht wird.
“Können Sie das bestätigen” ist mit Sicherheit nicht suggestiv.
Wenn “Können Sie das bestätigen” suggestiv wäre, dann wären auch Fragen wie “Stimmt es, dass… ?”, “Entspricht es den Tatsachen, dass….?”, u.dgl. immer suggestiv. Entscheidend ist aber der Zusammenhang. Dadurch würde eine effektive Befragung beinahe verunmöglicht. Es muss zulässig sein, eine einvernommene Person direkt mit Vorhalten oder anderen Aussagen zu konfrontieren. Man macht es sich fern jeder Praxisrealität sehr einfach, wenn man sich hier ein paar nette Beispielsätze ausdenkt, die man auch ganz neutral formulieren könnte.
Man kann auch andere Beispiele konstruieren: Liegt bei einem Fahrlässigkeitsdelikt eine Aussage vor, wonach ein Warnruf gemacht wurde oder etwas ähnliches, so ist es doch zulässig zu fragen “Ist es richtig/Stimmt es/Können Sie bestätigen, dass Herr XY “Achtung” gerufen hat?” Es ist nicht nötig zu fragen “Hat XY etwas gerufen und wenn ja, was hat er gerufen”? Letzteres mag vielleicht schöner sein, ersteres ist aber weit davon entfernt unzulässig respektive suggestiv zu sein. Suggestiv wäre die Frage “Aber Herr XY hat doch “Achtung” gerufen, oder etwa nicht!?”
Es geht um die Frage, ob die einvernommene Person ihre früheren Aussagen bestätigen könne. Das ist m.E. so suggestiv wie es suggestiver nicht sein kann.
Eine Suggestivfrage hat den den ZWECK das Denken, Fühlen, Wollen, Handeln und Erinnern einer Person derart zu beeinflussen, dass die befragte Person die suggerierte Antwort statt einer rein rational gemachten Antwort gibt.
Zugegeben, es gibt verschiedene Abstufungen der Suggestion. Die Frage “Hat XY etwas gerufen?” ist natürlich insofern auch suggestiv, als dass der Befragende den Eindruck vermittelt davon auszugehen, dass etwas gerufen wurde. Aber solche niederschwellig suggestiven Fragen halte ich für ganz und gar unproblematisch. Die befragte Person wird in keiner Weise unterschwellig zu einer bestimmten Antwort gedrängt. Es ist schon gar nicht der Zweck dieser Frage. Man will ein Ja, Nein oder Weiss nicht hören. Problematisch sind krass suggestive Fragen wie “XY hat dann ja was gerufen oder?” oder “Hatte er ein rotes T-Shirt an als Sie ihn beim Diebstahl gesehen haben?” Hier droht eine eventuell vorhandene Erinnerungslücke bzgl. der Shirt-Farbe unbewusst durch die Frage gefüllt zu werden, man suggeriert etwas.
Wird die hier thematisierte Frage als unzulässig beurteilt, werden übrigens nicht nur die Mehrheit der staatsanwaltlichen und richterlichen Befragungen zum Problemfall, sondern auch die allermeisten Ergänzungsfragen von Rechtsvertretern/Strafverteidigern.