Verfahrensbeteiligte im Entsiegelungsverfahren
Parteistellung im Entsiegelungsverfahren hat die gesuchstellende Strafbehörde sowie der Inhaber der versiegelten Aufzeichnungen. Hinzu kommen aber u.U. noch andere Verfahrensbeteiligte, wenn sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung der Aufzeichnungen haben können.
In der Praxis scheitert der Anspruch aber regelmässig an der prozessualen Obliegenheit, die Geheimhaltungsinteressen ausreichend zu substantiieren (vgl. BGer 1B_537/2018 vom 13.03.2019):
Parteien des Entsiegelungsverfahrens sind grundsätzlich nur die verfahrensleitende (das Entsiegelungsgesuch stellende) Strafuntersuchungsbehörde (Staatsanwaltschaft) sowie die Inhaberin oder der Inhaber der versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände. Stellt die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Entsiegelungsgericht den Antrag, die versiegelten Unterlagen seien zu entsiegeln, prüft das Gericht im Untersuchungsverfahren, ob Geheimnisschutzinteressen (oder andere gesetzliche Entsiegelungshindernisse), welche von der Inhaberin oder vom Inhaber der versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände angerufen werden, einer Durchsuchung entgegenstehen (vgl. Art. 248 Abs. 1 und Abs. 3 StPO).
Nach der Praxis des Bundesgerichts kann die Befugnis, sich gegen eine Durchsuchung von Aufzeichnungen zu wehren, über den Kreis der Gewahrsamsinhaber hinausgehen. Sie erfasst auch Personen, die unabhängig der Besitzverhältnisse ein rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Unterlagen haben können (vgl. BGE 140 IV 28 E. 4.3.4 S. 35 ff.).
Es besteht eine prozessuale Obliegenheit, die angerufenen Geheimhaltungsinteressen (Art. 248 Abs. 1 StPO) ausreichend zu substanziieren. Kommt die betroffene Person dieser Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit nicht nach, sind die Gerichte nicht gehalten, von Amtes wegen nach allfälligen gesetzlich geschützten Geheimnisgründen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen (vgl. hierzu Urteil 1B_453/2018 vom 6. Februar 2019 E. 6.1; BGE 137 IV 189 E. 4.2 S. 195, E. 5.3.3 S. 199) [E. 2.3. Hervorhebungen durch mich].
Von der Substantiierungspflicht entbindet auch nicht die Unkenntnis der sichergestellten Aufzeichnungen:
Zwar ist den Beschwerdeführerinnen als Nicht-Inhaberinnen nicht bekannt, welche Daten und Gegenstände im Einzelnen in der Anwaltskanzlei sichergestellt worden sind. Dies entbindet sie jedoch nicht davon, zu substanziieren, inwieweit eigene Geheimhaltungsinteressen konkret tangiert sein könnten (vgl. Urteil 1B_196/2018 vom 26. November 2018 E. 1.4) [E. 2.4].
Eine Pflicht des Entsiegelungsrichters, nach Geheimnissen zu forschen, besteht gemäss Bundesgericht nicht; offenbar auch dann nicht, wenn wie hier das anwaltliche Berufsgeheimnis eine Rolle spielt, das an sich weitgehend absoluten Schutz geniesst.
Quizfrage: wie erfährt man, was sichergestellt wurde und wie substantiiert man, was man nicht kennt?
Quizfrage: wie erfährt man, was sichergestellt wurde und wie substantiiert man, was man nicht kennt?
Antwort: indem man erstmal das Beschlagnahmeprotokoll konsultiert, sich aufgrund der bezeichneten Aktenordner mal überlegt, was man da drin wohl abgelegt hat und inwiefern sich darunter ausser den Belegen, welche man der Strafverfolgungsbehörde lieber vorenthalten hätte, weil sie geeignet sind, genau das zu beweisen, was die Klientschaft eigentlich verschleiern wollte (und was i.d.R. auch überhaupt nicht zur vom Berufsgeheimnis gedeckten anwaltlichen Kerntätigkeit gehört) auch noch irgendwelche strafrechtlich unverfänglichen, aber natürlich höchst geheimhaltungsbedürftigen Informationen, wie Krankheitsgeschichten und ähnliches befinden, welche es rechtfertigten könnten, die weitere Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörde möglichst lang aufzuhalten…
Naja, der nicht beschuldigte Dritte, der wie im fraglichen Fall Aufzeichnungen in einem Anwaltsbüro liegen hat, könnte ja schon mit Gründen ein Berufsgeheimnis geltend machen. Ich schliesse ja nicht aus, dass man im Einzelfall seiner Substantiierungspflicht nachkommen kann, aber aus den ZM-Protokollen wird man ja meistens als Dritter nicht klüger. Wie der Anwalt was ablegt, wissen die Klienten höchstens zum Teil. Und abgesehen davon könnte es ja auch noch sein, dass eine hinreichende Substantiierung bereits Informationen enthalten muss, die geheimnisgeschützt ist: „Ich beantrage, dass meine Scheidungsakten, die in elektronischer oder physischer Form im Büro abgelegt sind (samt Mails), nicht entsiegelt wird.“ Reicht das?
Selbstverständlich reicht das. Immer vorausgesetzt, die Scheidungsakten seien nicht genau das, was die Strafverfolgungsbehörde interessiert, weil sie darin zum Beispiel Hinweise über eine aussergerichtliche Aufteilung von Vermögenswerten deliktischer Herkunft zu finden hofft;-)