Verfahrentrennung und Konfrontationsanspruch
Mitunter benützen Staatsanwälte die Möglichkeit, Verfahren in Abweichung vom Grundsatz der Verfahrenseinheit (Art. 29 StPO) getrennt zu führen. Das ist organisatorisch viel einfacher und erlaubt es, Teilnahmerechte (nicht aber Konfrontationsrechte) zu umgehen. Und zudem ist es nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch weitgehend bundesrechtskonform.
Ein neues Beispiel für Verfahren, die trotz engem Sachzusammenhang getrennt geführt werden, ist heute online gestellt worden (BGer 6B_295/2016 vom 24.10.2016):
Zwar bestand zwischen den Taten, die dem Beschwerdeführer und A. vorgeworfen wurden, insofern ein Zusammenhang, als sich die Aussagen des Beschwerdeführers auf die A. vorgeworfene Tat bezogen und eine Verurteilung des Beschwerdeführers von der Verurteilung von A. abhing. Der Beschwerdeführer wurde als Beschuldigter zum Vorwurf des falschen Zeugnisses denn auch erst nach der rechtskräftigen Verurteilung von A. einvernommen (…). Ob es sich anders verhalten hätte, wenn A. den Strafbefehl vom 7. April 2014 angefochten und einen Freispruch beantragt hätte, kann offen gelassen werden. Denn dieser ist in Rechtskraft erwachsen (E. 2.5).
Diese praktische Beurteilung ist mit der theoretischen schwer vereinbar. Aus dem selben Entscheid:
Art. 29 StPO regelt den Grundsatz der Verfahrenseinheit. Dieser bezweckt die Verhinderung sich widersprechender Urteile, sei dies bei der Sachverhaltsfeststellung, der rechtlichen Würdigung oder der Strafzumessung. Er gewährleistet somit das Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 BV). Überdies dient er der Prozessökonomie. Eine Verfahrenstrennung ist gemäss Art. 30 StPO nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme bleiben. Die sachlichen Gründe müssen objektiv sein (E. 2.3)..
Durch Verfahrenstrennung nicht zu umgehen ist der Konfrontationsanspruch. Dieser ist in der EMRK verankert, während die klassischen Teilnahmerechte bloss auf Gesetzesstufe garantiert sind. Er kann auch erst im Berufungsverfahren geltend gemacht werden:
Auch wenn der Beschwerdeführer vor erster Instanz nicht den Beweisantrag auf Befragung der Belastungszeugen stellte, ergab sich aus seinen Ausführungen klar, dass er die Verwertbarkeit der ihn belastenden Aussagen von einer Konfrontation mit den Zeugen abhängig machte. Vor Vorinstanz stellte er zudem sowohl in der Berufungserklärung als auch anlässlich der Verhandlung ausdrücklich den Antrag auf Befragung der Belastungszeugen (…). Vor diesem Hintergrund hat der Beschwerdeführer sein Konfrontationsrecht nicht verwirkt (E. 4.4.2).
Interessant im Zusammenhang mit den Folgen verpasster Konfrontation der am Tag zuvor veröffentliche Entscheid des Bundesgerichts 6B_1026/2016:
3.2. Die Verletzung des Rechts der beschuldigten Person zur Teilnahme an den Einvernahmen der im gleichen Verfahren mitbeschuldigten Personen hat zur Folge, dass die Aussagen der mitbeschuldigten Personen nicht zu Lasten der beschuldigten Person, deren Teilnahmerecht verletzt wurde, verwertet werden dürfen. Dies ergibt sich aus Art. 147 Abs. 4 StPO. Die Verletzung des Teilnahmerechts hat – selbst wenn sie systematisch oder gezielt erfolgt sein sollte – entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht zur Konsequenz, dass auch die eigenen – belastenden – Aussagen der beschuldigten Person selbst, deren Teilnahmerecht bei Einvernahmen von mitbeschuldigten Personen verletzt wurde, nicht verwertet werden dürfen. Wohl ist nicht auszuschliessen, dass die Beschwerdeführerin in ihren zahlreichen Einvernahmen andere Aussagen gemacht hätte, wenn ihr zufolge Gewährung des Teilnahmerechts an den Einvernahmen der mitbeschuldigten Personen deren Aussagen bekannt gewesen wären. Dies bedeutet indessen nicht, dass durch die Verletzung des Teilnahmerechts gleichsam die Willensfreiheit der Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO bei Tätigung der eigenen Aussagen beeinträchtigt worden sei mit der Folge, dass die eigenen Aussagen der Beschwerdeführerin gemäss Art. 141 Abs. 1 StPO nicht verwertbar seien.