Verfassungsgerichtsbarkeit
Das Bundesgericht hat zum gestrigen „Entscheid“ des Nationalrats eine Pressemitteilung verfasst. Es äussert sich darin nur zu einer allfälligen Ausgestaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit:
Für den Fall, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene erweitert werden soll, befürwortet das Bundesgericht, dass die Verfassungskontrolle auf den konkreten Anwendungsakt beschränkt wird. Die allfällige Kontrolle der Bundesgesetze im konkreten Anwendungsfall erscheint nach Auffassung des Bundesgerichts als genügend, um einen verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz der Bürger und Bürgerinnen sicherzustellen.
Die Vorlage geht zurück auf eine parlamentarische Initiative von aNR Heiner Studer aus dem Jahr 2005 (05.445, Verfassungsgerichtsbarkeit). Die gestrige Beratung im Nationalrat kann hier nachgelesen werden. Die Mehrheit setzt sich für eine Streichung von Art. 190 BV ein, der wie folgt lautet:
Art. 190 Massgebendes Recht
Bundesgesetze und Völkerrecht sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend.
Wow, ein Wunder.
Da ist ja selbst meine kleine Staatssimulation fortschrittlicher, zumal wir schon eine umfassende Verfassungsgerichtsbarkeit haben ( http://www.wadosoft.ch/gemeinde/index.php )
Aber eben, in der Schweiz wird nicht nach möglichst viel Gerechtigkeit, sondern nach Effizienz und Erhalt der aktuellen Strukturen gestrebt…
Ich bin mir nicht sicher, ob die Verfassungsgerichtsbarkeit fortschrittlicher ist als der jetzige Zustand, in welchem von der Idee her das Parlament bzw. das Volk darüber entscheidet, was vor der Verfassung standhält und was nicht. Klar gibt es schon fast objektiv falsche Entscheide, wie etwa das Minarettverbot, aber entscheiden muss sowieso jemand, ob es nun ein Fünfergremium in Lausanne ist, ein 246er Gremium in Bern oder sonst wer. Und da das Bundesgericht nicht prinzipiell unfehlbarer ist als andere letztinstanzliche Entscheidungsträger, ist es auch nicht die einzige Wahl für Entscheide über die Verfassungsmässigkeit von Erlassen.
Für Gerechtigkeit zu sorgen, ist im Übrigen eh nicht primäre Aufgabe des Bundesgerichts. Dieses wendet lediglich das Recht auf den Einzelfall an – und dabei kann bei korrekter Anwendung ohnehin nur dann etwas Gerechtes herauskommen, wenn das vom Gesetz- bzw. Verfassungsgeber so beabsichtigt wurde. Ungerechte Gesetze führen nicht zu gerechten Entscheiden…
Abgesehen davon haben wir ja noch die EMRK, auch Bundesgesetze befinden sich somit nicht ganz im rechtsfreien Raum…
imho hat da der staatliche berg ne maus geboren und es wird einmal mehr übersehen, dass es auch aufgabe einer verfassungsgerichtsbarkeit wäre, die rechtliche logische konsistenz von verfassung und nachgeordneten gesetzen zu überwachen.