Vermeintliche Entlastungsfristen
Die StPO enthält eine Reihe von (viel zu kurzen) Fristen, an die sich die Parteien strikt zu halten haben, wenn sie den Verlust ihrer Rechte verhindern wollen. Gerichte prüfen und dokumentieren die Wahrung solcher Fristen peinlichst genau, und zwar vor allem dann, wenn eine verpasste Frist zur Abschreibung des bei ihnen hängigen Verfahrens führen würde. Eine solche Entlastungsfrist glaubt das Kantonsgericht FR in einer Berufungserklärung entdeckt zu haben, in der es trotz der ausdrücklichen Bezeichnung als Berufungserklärung keine Berufungserklärung erkennen wollte. Das Bundesgericht weist die Vorinstanz aber zurecht und heisst die Laienbeschwerde gut (BGer 6B_345/2020 vom 21.07.2020):
Die Vorinstanz konnte die Eingabe nicht ausschliesslich als Gesuch um eine – wie sie im Übrigen selbst zutreffend ausführt – nicht mögliche Erstreckung oder Neuabsetzung der gesetzlichen Berufungsfrist (vgl. Art. 399 Abs. 3 i.V.m. Art. 89 Abs. 1 StPO) entgegennehmen. Die mit “Berufungserklärung Dossiernummer 50 2019 18/mpo” überschriebene Eingabe des Beschwerdeführers vom 23. Dezember 2019 ging innert der 20-tägigen Frist zur Berufungserklärung bei der Vorinstanz ein und trägt die gesetzliche exakte Bezeichnung, wobei selbst die unzutreffende Bezeichnung des Rechtsmittels nicht geschadet hätte (vgl. Art. 385 Abs. 4 StPO; BGE 138 I 367 E. 1.1 S. 367; Urteil 6B_1066/2019 vom 4. Dezember 2019 E. 1). Der Beschwerdeführer bringt in seiner Eingabe unmissverständlich zum Ausdruck, dass er das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich (“jeden Punkt) ” anfechten will. Die Vorinstanz scheint – wie der Beschwerdeführer – zu verkennen, dass die Berufungserklärung keine Begründung enthalten muss (Urteil 6B_684/2017 vom 13. März 2018 E. 1.4.2, publ. in: Pra, 2018, Nr. 88 S. 773; SZS, 2019 S. 173). Die Begründung des Rechtsmittels erfolgt erst nach Abgabe der Berufungserklärung und deren Vorprüfung im Rahmen des mündlichen (Art. 405 i.V.m. Art. 346 StPO) oder schriftlichen Berufungsverfahrens (Art. 406 Abs. 3 i.V.m. Art. 385 Abs. 1 lit. b StPO), soweit auf die Berufung eingetreten wird (Art. 403 StPO). Ob das unzulässige Gesuch um Ansetzung einer “neuen” Berufungsfrist allenfalls als (verfrühtes) Gesuch um Wiedereinsetzung hätte entgegengenommen werden müssen, kann offenbleiben, da ein solches aufgrund der gleichzeitig eingereichten Berufungserklärung gegenstandslos geworden ist (E. 4)..