Verpasste Frist wiederhergestellt

Das Bundesgericht steht einem Beschuldigten bei, dessen Anwalt die Berufungsfrist falsch berechnet hat und in der Folge ungenutzt verstreichen liess (BGer 6B_1111/2017 vom 07.08.2018).

Dass man eine Frist verpassen kann, weiss jeder. Dass man sie aber zu seinen Ungunsten falsch berechnet und dann noch verpasst, ist sehr speziell. Das Bundesgericht schildert den rechtserheblichen Sachverhalt wie folgt:

Am 23. November 2016 hätte Rechtsanwalt A. gemäss der Anweisung von X. die Berufung anmelden sollen. Stattdessen teilte er X. mit, dass er die Frist zur Berufungsanmeldung falsch berechnet habe und diese mittlerweile abgelaufen sei. Tatsächlich lief die Frist noch bis zum 25. November 2016.

Auch wenn es nicht um sehr viel ging (bedingte Geldstrafe und Busse, aber immerhin notwendige Verteidigung dank Anklagevertretung der StA), ist das Bundesgericht zu Recht grosszügig und rechnet den Fehler nicht dem Beschuldigten zu:

Nach der Rechtsprechung ist ein Fehler des Anwalts grundsätzlich dem Mandanten zuzurechnen und stellt in der Regel keine unverschuldete Säumnis dar (BGE 143 I 284 E. 1.3; Urteil 6B_67/2018 vom 9. April 2018 E. 4). In BGE 143 I 284 hat das Bundesgericht in Anlehnung an die Lehre (insbesondere CHRISTOF RIEDO, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 57 zu Art. 94 StPO) festgehalten, dass dem Beschuldigten im Rahmen einer notwendigen Verteidigung das allfällige Fehlverhalten seines Anwalts dann nicht anzurechnen ist, wenn dieses grob fahrlässig, qualifiziert unrichtig oder mit den Regeln der Anwaltskunst gänzlich unvereinbar erscheint. Dafür darf den Vertretenen selbst kein Verschulden treffen; namentlich muss der Fehler des Anwalts für ihn nicht erkennbar gewesen sein. Schliesslich muss eine Schadensersatzleistung ungeeignet sein, für Wiedergutmachung zu sorgen, was nicht der Fall ist, wenn eine blosse Busse oder Geldstrafe ohne Eintrag im Strafregister verhängt wird (E. 2.2.3). Eine Differenzierung anhand des Grundes der notwendigen Verteidigung erfolgte im erwähnten Entscheid nicht. Eine solche drängt sich – entgegen der Ansicht der Vorinstanz – auch nicht auf. Im Rahmen der notwendigen Verteidigung ist die beschuldigte Person verpflichtet, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen. Entsprechend kann ihr nicht zugemutet werden, sich sämtliche Fehler ihres Verteidigers uneingeschränkt zurechnen zu lassen. Anders verhält es sich im Rahmen der freiwilligen Verteidigung, bei welcher der Beschuldigte selber darüber entscheidet, ob er sich vertreten lassen will oder nicht. Es besteht demnach kein Anlass, von der erst kürzlich in BGE 143 I 284 ergangenen Rechtsprechung abzuweichen (E. 2).