Verrechnete Parteientschädigung
In einem Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht wurde dem obsiegenden Beschwerdegegner eine Parteientschädigung von CHF 3,000.00 zu gesprochen. Beschwerdeführerin war eine Fürsorgebehörde (vgl. dazu meinen früheren Beitrag), welche die geschuldete Parteientschädigung dann einfach verrechnet hat.
Um ihrem Anwalt doch noch bezahlen zu können, hat der Beschwerdegegner das Bundesgericht nachträglich um unentgeltliche Rechtspflege ersucht. Erfolglos: die zuständige I. öffentlich-rechtliche Abteilung “präzisiert” ihre Praxis in Dreierbesetzung wie folgt und lässt den Anwalt hängen (BGer 1B_458/2018 vom 03.10.2018):
2.
Gemäss Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BGG steht dem Anwalt oder der Anwältin ein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung aus der Gerichtskasse zu, soweit der Aufwand für die Vertretung nicht aus der zugesprochenen Parteientschädigung gedeckt werden kann. Dieser Fall tritt nicht nur ein, wenn sich die Parteientschädigung als uneinbringlich erweist, sondern auch, wenn die Gegenpartei die von ihr geschuldete Parteientschädigung mit eigenen Forderungen gegen die unentgeltlich verbeiständete Partei verrechnet. In beiden Fällen ginge die Rechtsvertretung der bedürftigen Partei ihres Honorars verlustig (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_323/2012 vom 6. Juni 2012 E. 2 mit weiteren Hinweisen).
3.Die Gesuchsgegnerin hat in ihrer Vernehmlassung vom 3. September 2018 dargelegt, dass der Rechtsvertreter des Gesuchstellers aufgrund der Akten des Strafverfahrens wusste oder bei der gebotenen Sorgfalt zumindest hätte wissen müssen, dass sein Mandant mehrere rechtskräftig ausgesprochene Entschädigungen gegenüber der Gesuchsgegnerin nicht bezahlt hat (…).Diese Darstellung wird vom Rechtsvertreter des Gesuchstellers zu Recht nicht bestritten. Dieser hätte somit um die Gefahr der Verrechnung respektive der Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung wissen müssen. Er wäre daher gehalten gewesen, bereits in seiner Beschwerdeantwort vom 4. Mai 2018 bzw. jedenfalls vor Abschluss des Verfahrens 1B_158/2018 ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zu stellen, die drohende Verrechnung darzulegen und gestützt auf Art. 64 Abs. 2 BGG eine Entschädigung direkt an sich selber zu verlangen. Insoweit gelten erhöhte Begründungsanforderungen an das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (vgl. zum Ganzen Urteil der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts 6G_3/2010 vom 14. Februar 2011 E. 2 und 3).4.In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Strafrechtlichen Abteilung und in Präzisierung der bisherigen Praxis der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung (vgl. Urteil 1B_323/2012 vom 6. Juni 2012 mit Hinweisen) führt dies im zu beurteilenden Fall zur Abweisung des nachträglichen Gesuchs um unentgeltliche Rechtsverbeiständung. Ein entsprechendes Gesuch hätte bereits vor Abschluss des Verfahrens 1B_158/2018 gestellt werden können und auch müssen.
Es scheint mir, auch wenn ich den Fall nicht kenne, merkwürdig, bei einem mutmasslichen Sozialhilfebetrüger keinen URP-Antrag zu stellen. Denn hätte er genügend Mittel, käme er wohl kaum in Kontakt mit der Sozialhilfe.
Einerseits kann das URP-Gesuch grundsätzlich jederzeit gestellt werden, also auch erst am Schluss. Andererseits wirkt die URP dann nicht rückwirkend (vgl. Art. 119 Abs. 4 ZPO) und bringt in der Regel nicht mehr viel. Hier hätte die nach Urteilseröffnung beantragte URP sowieso nicht rückwirkend auf den Zeitpunkt der Verrechnung gewirkt. Rein finanzielle Überlegungen des Anwalts genügen praxisgemäss für eine Rückwirkung nicht.
Prozessual unklar ist für mich, weshalb man überhaupt auf ein URP-Gesuch nach Abschluss des Verfahrens eintritt; URP bezieht sich immer auf ein konkretes, hängiges (bzw. ausnahmsweise noch nicht hängiges; Art. 118 Abs. 1 Bst. c ZPO) Verfahren. Wäre hier nicht eher eine Revision (theoretisch) zu diskutieren gewesen?