Verspäteter Siegelungsantrag
Dass eine wankelmütigeVerteidigungstaktik zu möglicherweise empfindlichen Rechtsverlust führen kann, zeigt ein Sachverhalt, den das Bundesgericht in BGer 1B_516/2012 vom 09.01.2013 zu beurteilen hatte. Es handelt sich um eine Beschwerde gegen einen abgewiesenen Siegelungsantrag. Der Beschwerdeführer verlangte von der Staatsanwaltschaft zuerst die Auswertung der Festplatte, weil er sich davon entlastende Erkenntnisse versprochen hatte. Dass sowas nicht gut gehen kann, hat er dann selbst offenbar auch realisiert und noch vor der Auswertung die Siegelung der Festplatte verlangt.
Das Bundesgericht bestätigt die Auffassung der kantonalen Behörde, wonach ein solcher Siegelungsantrag ein Jahr nach der Sicherstellung jedenfalls verspätet ist:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, spätestens am 25. Oktober 2010 Kenntnis von der Sicherstellung der Festplatte und in groben Zügen auch von deren Inhalt gehabt zu haben. Insbesondere ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er erst später von Gründen, welche der Durchsuchung oder Beschlagnahme entgegenstehen würden, erfahren hat. Wenn er unter diesen Umständen am 27. Oktober 2010 die sofortige Auswertung aller auf der Festplatte vorhandenen Daten verlangte, nahm er damit zum einen sein Recht auf Äusserung gemäss Art. 247 Abs. 1 StPO wahr, zum anderen verzichtete er damit unzweideutig auf die Siegelung gemäss Art. 248 Abs. 1 StPO. Eine zusätzliche förmliche Aufforderung durch die Staatsanwaltschaft an den Beschwerdeführer, sich zum Inhalt der Aufzeichnungen zu äussern, wäre ein leerer Formalismus gewesen. Weder der Wortlaut von Art. 247 Abs. 1 StPO noch dessen Sinn und Zweck, der in der Gewährung des rechtlichen Gehörs liegt, erforderten ein derartiges Vorgehen. Die Vorinstanz verletzte kein Bundesrecht, wenn sie das über ein Jahr später erfolgte Gesuch des Beschwerdeführers auf Siegelung als verspätet ansah.
Wenn man sich allerdings überlegt, was mit der Siegelung bezweckt wird, ist nicht leicht zu erkennen, wieso Lehre und Rechtsprechung eigentlich darauf beharren, ein entsprechender Antrag müsse sofort gestellt werden. Das Beschleunigungsgebot, das dabei (auch vom Bundesgericht) angeführt wird, ist jedenfalls gleich in mehrfacher Beziehung ein Scheinargument.
Der Sachverhalt erscheint mir ganz allgemein etwas komisch: “Am 11. November 2005 stellte die Kantonspolizei beim Betreibungs- und Konkursamt Berner Oberland eine Festplatte sicher, welche X.________ im Rahmen eines Konkursverfahrens abgegeben hatte. In der Folge konnte die Festplatte nicht mehr aufgefunden werden, bis sie X.________ selbst bei einer Akteneinsicht am 25. Oktober 2010 entdeckte.” Insofern hätte es der Beschuldigte ja ohnehin in der Hand gehabt, die Auffindbarkeit der Festplatte zu verhindern.
Ich verstehe nicht, wie ein Gesuch auf Siegelung verspätet sein kann, wenn die Festplatte noch gar nicht ausgewertet wurde, obschon mit der Siegelung bezweckt werden soll, die Durchsicht und Verwendung von Aufzeichnungen und Gegenstände durch die Strafbehörden zu verhindern. Und ist es nicht treuwidrig oder sogar rechtsmissbräuchlich, wenn die Strafbehörden mit dem Beschleunigungsgebot das Erfordernis der sofortigen Geltendmachung der Siegelung begründen, obwohl sie nach über 6 Jahren es nicht geschafft haben, die Festplatte auszuwerten?