Verteidiger c. Verteidiger
Heute beglückt uns das Bundesgericht mit einem bizarr anmutenden Sachverhalt aus dem Kanton Zürich (BGer 6B_212/2017 vom 04.08.2017). Danach verfügte eine Beschuldigte über einen amtlichen und einen privaten Verteidiger. Dem amtlichen Verteidiger passte die Verteidigungsstrategie des privaten und seiner Klientin nicht.
Während der private Verteidiger die Interessen seines Klienten zu wahren versuchte, konzentrierte sich der amtliche darauf, die Verteidigungsbemühungen zu unterlaufen. Auf die Beweisanträge des Privatverteidigers reagierte er wie folgt:
Der amtliche Verteidiger führte in seiner unaufgeforderten Eingabe vom 2. November 2015 aus, die Beweisanträge seien unnötig und geeignet, die Beschwerdeführerin in ein negatives Licht zu stellen, da sie den Richter auf eine betonte Uneinsichtigkeit der Beschwerdeführerin schliessen lassen und den Eindruck einer bei ihr völlig fehlenden Opferempathie erwecken könnten. Die Tatsache, dass diese nach abgeschlossener Untersuchung Beweisanträge stellen lasse und – vor allem – die Tendenz solcher Beweisanträge, sage etwas aus über deren Persönlichkeit und insbesondere über ihre innere Einstellung, die sie dem Strafverfahren gegenüber zeige. Gemäss dem psychiatrischen Gutachten sei die Schuldfähigkeit der Beschwerdeführerin nur für den letzten Abschnitt der deliktischen Tätigkeit völlig aufgehoben. Somit könne sich der Richter nicht auf die Anordnung einer eventuellen Massnahme beschränken, er müsse zusätzlich eine Strafe ausfällen (…) [E. 5.3].
Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass der amtliche Verteidiger hätte entlassen werden müssen.
Das Vorgehen des amtlichen Verteidigers war in mehrfacher Hinsicht problematisch. Dieser brachte dem Bezirksgericht gegenüber bereits in seiner unaufgeforderten Eingabe vom 2. November 2015 zum Ausdruck, dass er die Beschwerdeführerin für schuldig hielt, wobei er dem Gericht gar nahelegte, deren Antrag auf Befragung der Geschädigten als fehlende Einsicht auszulegen. Damit verkannte er, dass – wie der erbetene Verteidiger zu Recht geltend machte – einzelne Vorwürfe einzig auf den Aussagen der Geschädigten beruhten und gemäss Art. 343 Abs. 3 StPO eine persönliche Befragung durch das Gericht daher offensichtlich geboten war (vgl. BGE 140 IV 196 E. 4.4.2). An der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht beantragte der amtliche Verteidiger einen Schuldspruch und die Anordnung einer ambulanten Massnahme, obschon der erbetene Verteidiger und auch die Beschwerdeführerin persönlich auf einen Freispruch plädierten. Dies steht klar im Widerspruch zu den Pflichten eines amtlichen Verteidigers. Der Umstand, dass die amtliche Verteidigung einer nicht geständigen beschuldigten Person gegenüber dem Gericht festhält, sie glaube nicht an die Unschuld ihres Mandanten, weist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf einen Vertrauensverlust hin, was zur Entlassung des amtlichen Verteidigers führen muss (BGE 138 IV 161 E. 2.5 S. 166 ff.; ausführlich dazu auch WOLFGANG WOHLERS, Die Pflicht der Verteidigung zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person, ZStrR 2012 S. 55 ff.). Dies gilt umso mehr, wenn der amtliche Verteidiger einer nicht geständigen beschuldigten Person gegen deren Willen einen Schuldspruch im Sinne der Anklage verlangt.
Das Bundesgericht entschied zudem wiederholt, die Anordnung einer stationären oder ambulanten Massnahme bedeute zugleich eine ungünstige Prognose und schliesse den bedingten oder teilbedingten Aufschub einer Strafe aus (BGE 135 IV 180 E. 2.3 S. 186 f.; Urteil 6B_652/2016 und 6B_669/2016 vom 28. März 2017 E. 3.3.1 mit Hinweisen). Die Anträge des amtlichen Verteidigers waren daher auch widersprüchlich, da er nicht gleichzeitig eine bedingte Strafe und eine ambulante Massnahme beantragen konnte.Unverständlich ist auch, weshalb der amtliche Verteidiger mit Schreiben vom 14. März 2016 die Berufungsanmeldung der Beschwerdeführerin zurückzog, nur weil diese nicht mehr von ihm verteidigt werden wollte und ihm über den erbetenen Verteidiger mitteilen liess, er solle auf die Einreichung von “Beanstandungen” verzichten (…) [E. 5.4.1].
Dies führt allerdings nicht zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids, da der Beschwerdeführerin mit Rechtsanwalt D. auch ein erbetener Verteidiger zur Verfügung stand, das Bezirksgericht dessen Beweisanträgen – entgegen dem Antrag des amtlichen Verteidigers – stattgab und schliesslich auch keine ambulante Massnahme angeordnet wurde. Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren insgesamt nicht angemessen verteidigt war, liegen daher nicht vor (E. 5.4.2).
Ein bizarrer Fall, fürwahr.
Folgendes erschliesst sich mir allerdings nicht oder jedenfalls nicht auf Anhieb: Wenn jemandem ein amtlicher Verteidiger zugeteilt wird und er/sie dann – aus welchen Gründen auch immer und wie auch immer finanziert – einen privaten Verteidiger beizieht: Weshalb wird der amtliche Verteidiger dann nicht einfach entlassen ? Die Verteidungsrechte sind ja durch die private Verteidigung ausreichend gewahrt.
Im Prozess des Herrn D.B. aus dem Grossraum Basel vor dem Bundesstrafgericht bestand bzw. besteht ja eine ähnliche Situation: Der private Verteidiger wirkt und wirbelt und queruliert nach Noten, während der amtliche Verteidiger eine absurde Statistenrolle einnimmt und sich zudem Vorwürfe des umtriebigen Privatverteidigers anhören muss. Letztlich wird er mit einem Honorar in sechsstelliger Höhe und um einige Erfahrungen reicher verabschiedet werden – vom Aufwand her sicher gerechtfertigt, aber es stellt sich schon die Sinnfrage dieser Übung.
Viele Verfahrensleiter entlassen den amtlichen Verteidiger nicht, weil die privaten jederzeit das Mandat niederlegen oder gefeuert werden könnten. Der amtliche Verteidiger wird so zum bereits aufgewärmten Einwechselspieler, der jederzeit übernehmen kann.
Dies wäre das korrekte Vorgehen gewesen, was auch das Bundesgericht so festhält.
“Da die Beschwerdeführerin nicht als bedürftig gilt und sie seit September 2015 erbeten durch Rechtsanwalt D.________ verteidigt war, wäre vielmehr auch zu prüfen gewesen, ob die Voraussetzungen für eine amtliche Verteidigung – unabhängig vom geltend gemachten Bruch des Vertrauensverhältnisses zum amtlichen Verteidiger – überhaupt noch erfüllt waren”
Ein weiteres Problem ist m.E., dass die Erstinstanz das Gesuch um Entlassung des amtl. Verteidigers abwies und solche prozessleitenden Verfügungen des Gerichts mit StPO-Beschwerde unanfechtbar sind. Eventuell hätte der erbetene Verteidiger bereits in seiner Mitteilung an die StA, dass er jetzt die Verteidigung übernehme, die Entlassung des Kollegen fordern müssen und deren (evtl.) abschlägigen Entscheid anfechten sollen…