Verteidiger nicht nötig?
Wie wenig die Justiz bisweilen von Strafverteidigung hält (v.a. wenn sie etwas kosten soll), geht aus einem Entscheid des Obergerichts ZH hervor, der nun vom Bundesgericht kassiert werden musste (BGer 6B_371/2021 vom 21.02.2022).
In solchen Fällen würde ich gerne wissen, wie sich Richter verhalten würden, die sich plötzlich mit solchen Vorwürfen als beschuldigte Personen in ein Strafverfahren wiederfinden. Hier ein Auszug aus der Begründung des Bundesgerichts:
In einer ex post-Beurteilung der einzelnen Verfahrenshandlungen verneint die Vorinstanz die Angemessenheit des Beizugs eines Rechtsbeistands und untersucht nicht für den Zeitpunkt der Mandatierung die Angemessenheit des Beizugs. Für die Beurteilung der Angemessenheit des Beizugs des Verteidigers ist vorliegend indessen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt vor der ersten polizeilichen Einvernahme bezüglich der ersten Strafanzeige abzustellen. In diesem Zeitpunkt sah sich die Beschwerdeführerin mit dem Vorwurf des Entziehens von Minderjährigen (Art. 220 StGB) konfrontiert, einem Vergehen und damit einem Vorwurf von einer gewissen Schwere. Mit dem Vorwurf des Entziehens von Minderjährigen geht regelmässig ein Elternkonflikt einher, so auch vorliegend, welcher die Abklärung des Sachverhalts anspruchsvoll macht und für die emotionale Befindlichkeit der involvierten Beteiligten belastend sein kann. Hinzu kommt, dass der Tatbestand des Entziehens von Minderjährigen in rechtlicher Hinsicht für einen Laien nur schwer fassbar und allein mit der Lektüre des Gesetzestextes für diesen nicht erkennbar ist, unter welchen Voraussetzungen der Tatbestand erfüllt ist. Die Verhältnisse waren denn auch weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht derart klar, dass der Vorwurf nach der ersten polizeilichen Einvernahme nicht weiterverfolgt wurde. Im Gegenteil eröffnete die Staatsanwaltschaft gestützt auf den Polizeirapport in der Folge eine Strafuntersuchung, die erst nach einer gescheiterten Vergleichsverhandlung mit anschliessender Konfrontationseinvernahme nach mehr als eineinhalb Jahren eingestellt wurde. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Vorwurf des Entziehens von Minderjährigen in der vorliegenden Konstellation für die Beschwerdeführerin nachteilige Auswirkungen auf das parallel laufende Zivilverfahren betreffend Obhut und Betreuung der Tochter C.B. hätte zeitigen können, wird einem Elternteil doch in der Regel bei fehlender Absprachefähigkeit hinsichtlich Besuchs- und Betreuungsregelung die Erziehungsfähigkeit abgesprochen oder diese zumindest als herabgesetzt beurteilt. Es erweist sich daher als angemessen, wenn die Beschwerdeführerin für das gegen sie eingeleitete Strafverfahren betreffend Entziehen von Minderjährigen einen Rechtsbeistand beigezogen hat, selbst wenn der Beizug für die erste polizeiliche Einvernahme ex post betrachtet allenfalls nicht geboten gewesen wäre (E. 3.5).
Geld regiert in die Welt der kantonalen Strafjustiz und offenbart deren fehlende Unabhängigkeit von der zahlungspflichtigen Exekutive.
Ich denke aber nicht das es fehlende Unabhängigkeit ist, sondern eine innere Schere welche durch die ganze Sozialisierung entstanden ist. Man möchte den Steuerzahler schützen.. das kommt auch immer wieder in den Begründungen vor.. „dem Steuerzahler ist nicht zuzumuten, oder schliesslich ist es der Steuerzahler der den Schaden zu übernehmen hätte weshalb .. usw… . Das würde in Litauen so nie passieren, da sowieso jeder einer Anspruch auf einen Pflichtverteidiger hat zu finanzieren vom Staat und Fallpauschalen existieren gibts auch kaum Streit um den getriebenen Aufwand.
Unsere Gerichtsbarkeit oder die für die Fallpauschalen zuständige Anwaltskammer kümmert sich nicht um den Staatssäckel zum Ärgernis der Exekutive.
@Tades: Ich habe bei Verfügungen und Einspracheentscheiden von Durchführungsstellen für Sozialversicherungen und bei Urteilen von Gerichten im Sozialversicherungsrecht über den Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand oder über die Höhe der Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands oder die Höhe der Parteientschädigung auch oft den Eindruck, dass es bei der Verweigerung des Anspruchs auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand oder bei der Verweigerung oder Kürzung der Entschädigung für den Rechtsvertreter insgeheim darum geht Kosten für den Steuerzahler zu sparen und nicht darum geht ehrlich zu schauen, welcher Aufwand des Rechtsvertreters in einer ex-ante Betrachtung tatsächlich notwendig war und wie das Mass des Obsiegens ist oder das Mass bei dem trotz Unterliegen auf Grund des Verursacherprinzips ein Anspruch auf eine Parteientschädigung auch bei Unterliegen besteht. Im Sozialversicherungsrecht geht es häufig um arme, kranke, behinderte, hilflose oder pflegebedürftige Personen, welche ohne einen Rechtsbeistand schlechte Chancen haben zu ihrem Recht zu kommen.