Verteidiger sind keine Politiker, Richter schon eher

Der Kanton Luzern wählt aus den zugelassenen Anwältinnen und Anwälten mehrere amtliche Verteidigerinnen und Verteidiger auf vier Jahre. Dabei wird der Parteiproporz berücksichtigt, nach dem die SVP Anspruch auf zwei amtliche Verteidiger hätte. Neben SVP-Angehörigen bewarb sich nun aber auch ein parteiloser Kollege, der freilich scheiterte. Gewählt wurde der Rechtsanwalt A., für dessen Wahl gemäss Vorinstanz nicht etwa die Parteizugehörigkeit den Ausschlag gab, sondern “seine bisherige Tätigkeit im Strafrechtsbereich”.

Der parteilose Anwalt fühlte sich in seiner Nichtwahl diskriminiert und führte Beschwerde bis ans Bundesgericht. Dieses teilt grundsätzlich seine Meinung (BGE 1C_131/2012 vom 13.06.2012 (Publikation in der AS vorgesehen). Es ist insbesondere der Auffassung, die Parteizugehörigkeit sei ein sachfremdes Kriterium. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, wie es denn bei Staatsanwälten oder bei Richtern aussieht. Das Bundesgericht äussert sich nur zu den Richtern:

Die parteipolitische Repräsentanz gehört zu den Dominanten der schweizerischen Politik. Zur Anwendung gelangt sie nicht nur bei Wahlen in politische Behörden, sondern auch etwa bei Richterwahlen, so namentlich bei Wahlen ins Bundesgericht. Sie gewährleistet bis zu einem gewissen Grad, dass sich die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Kräfte in der Zusammensetzung einer Behörde widerspiegeln und sich eine pluralistische Meinungsbildung ergibt. Für REGINA KIENER ermöglicht die der Schweiz eigene Fragmentierung in ein Vielparteiensystem eine differenzierte und breite Übertragung gesellschaftlicher Anliegen in die politischen Gremien (REGINA KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, 2001, S. 271). § 44 Abs. 3 KV/LU (SR 131.213) sieht ausdrücklich vor, dass der Kantonsrat bei seinen Wahlen die Vertretung der politischen Parteien in angemessener Weise berücksichtigt (Abs. 3), was unter anderem für die Wahl seiner Kommissionen (Abs. 1 lit. b) und der Mitglieder der Gerichte (Abs. 1 lit. e) gilt.

Für das Mandat der amtlichen Verteidigung ist bedeutsam, dass der Bewerber das Handwerkszeug eines Verteidigers beherrscht beziehungsweise über spezifische berufliche Erfahrung verfügt. Das scheint denn auch der Grund dafür zu sein, dass der Kanton Luzern an der Wahl der amtlichen Verteidiger festhält, da diese eine gewisse Kontrolle erlaubt (vgl. dazu E. 3.4.3 hiernach). Hingegen ist das Kriterium der Parteizugehörigkeit hinsichtlich der Wahl amtlicher Verteidiger sachfremd. Es ist insbesondere nicht einzusehen, weshalb sich in der Gruppe der vom Regierungsrat gewählten amtlichen Verteidigern gewissermassen die gesellschaftlichen bzw. gesellschaftspolitischen Kräfte widerspiegeln müssen, ganz abgesehen davon, dass die amtlichen Verteidiger ohnehin nicht als Gruppe agieren, sondern im jeweils konkreten Fall als Einzelpersonen tätig werden. Im Unterschied zu Richtern haben amtliche Verteidiger nicht die Aufgabe und die Kompetenz, staatliche Entscheide zu fällen. Entscheidend ist, ob ein Anwalt Gewähr dafür bietet, den an das Mandat der amtlichen Verteidigung gestellten Erwartungen gerecht zu werden. Dies hat mit seiner partei- beziehungsweise gesellschaftspolitischen Ausrichtung nichts zu tun. Infolgedessen stellt die Abbildung des Parteiproporzes kein öffentliches Interesse dar, das vorliegend eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Die Benachteiligung parteiungebundener Anwälte ist diskriminierend und verletzt Art. 8 Abs. 2 BV (E. 3.3.4).

Ich gebe zu, auf den ersten Blick leuchtet das alles ein. Aber ist das Argument im Hinblick auf Richterwahlen auch auf den zweiten Blick stichhaltig? Wäre nicht auch die Benachteiligung eines parteiungebundenen Richterkandidaten diskriminierend? In einer Gesellschaft, die zum weit überwiegenden Teil aus Nichtstimmenden und Nichtwählenden besteht?