Verteidigung ja, aber nur ein bisschen
Das Bundesgericht schützt ein Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, das eine Entschädigung nach zweitinstanzlichem Freispruch im schriftlichen Verfahren damit begründete, dass es sich ja nur um eine Bagatelle gehandelt habe. Dass die Staatsanwaltschaft und die erste Instanz diese Bagatelle in Verletzung von Bundesrecht falsch beurteilt hatten, begründete bloss den Umstand, dass eine Verteidigung geboten war (BGer 6B_74/2014 vom 07.07.2014):
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz in Würdigung des Bagatellcharakters des Tatvorwurfs, der sich bei einem Schuldspruch ergebenden rechtlichen Konsequenzen sowie der Verfahrensart [schriftliches Verfahren] den geltend gemachten Aufwand für die Berufungsbegründung von 15.33 Stunden als “unangemessen hoch” und damit den konkreten Verhältnissen nicht angemessen erachtet hat (E. 1.4.3, Anmerkung durch mich).
Angemessen war etwa die Hälfte. Dazu ein paar Fragen:
- Wer bestimmt eigentlich, ob eine Sache (für den Beschuldigten) Bagatellcharakter hat?
- Warum müssen Bagatellen überhaupt strafrechtlich verfolgt werden?
- Warum werden Bagatellen im Strafregister eingetragen?
- Ist es auch eine Bagatelle, wenn man zu Unrecht verurteilt (hier bedingte Geldstrafe, Busse, Kosten, Schadenersatz) und im Strafregister eingetragen wird?
- Ist es gerechtfertigt, dass es für die Beurteilung von blossen Bagatellen drei Oberrichter und einen Gerichtsschreiber braucht?
- Wäre es nicht fairer, dem Beschuldigten bei der Aufforderung zur Einreichung einer schriftlichen Begründung zu sagen, wie viel Aufwand seine Verteidigung kosten darf?
Interessanter wäre eigentlich, weshalb das Bundesgericht überhaupt auf die Beschwerde eintrat. Beim gleichentags online geschalteten 6B_343/2014 tat es dies nämlich nicht. Finde die Unterschiede?
Unterschied: Beschwerde gegen einen Endentscheid / Zwischenentscheid.
Nur, steht bei beiden Fällen zum Sachverhalt, dass die Entschädigung in einem Rückweisungsentscheid festgesetzt wurde. Einmal eine Rückweisung an die Staatsanwaltschaft, im anderen an die Vorinstanz (Gericht). Es handelt sich bei beiden Fällen um Zwischenentscheide… oder übersehe ich da was?
Nein, ich habe es übersehen. Und das Bundesgericht freilich auch.
Angaben zum zulässigen Aufwand wären an sich hilfreich, Ich glaube aber kaum, dass Gerichte Lust haben, sich dies im Voraus zu überlegen. Es ist doch wesentlich einfacher, eingereichte Kostennoten zu kürzen – und vielleicht macht es ja sogar Spass.
Glauben Sie mir: Honorarnoten kürzen macht absolut keinen Spass, sondern ist nervtötende Kleinarbeit, die einem von Wichtigerem abhält… Ich kürze (wie wohl die meisten anderen) nur, wenn ich muss, d.h. wenn der geltend gemachte Aufwand nicht mehr nachvollziehbar ist.
Bei einigen Gerichten gibt es scheinbar nichts Wichtigeres als die Kostennoten der Anwälte zu überprüfen bzw. zu kürzen. Die eklatanten Unterschiede in der kantonalen Praxis sind ein Hinweis dafür. Für viele Richter ist ein Aufwand übrigens schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil sie nie als Verteidiger gearbeitet haben und sich nie über Sorgfaltspflichten eines Anwalts Gedanken machen mussten. Zu den Sorgfaltspflichten kann auch gehören, etwas nicht vorzutragen, das auf den ersten Blick wichtig sein könnte. Etwas nicht vorzutragen setzt auch eine Entscheidung voraus, die zu treffen ist und die der Richter nicht kennen kann. Für den Richter beschränkt sich der Fall auf die paar Aktenseiten, die ihm vorliegen. Für den Verteidiger reicht das Dossier in aller Regel nicht. Ich bezweifle ja nicht, dass es Kostennoten gibt, die zu kürzen sind. Mich stört aber gewaltig, wie leichtfertig das in manchen Kantonen geschieht und wie schwach der Rechtsschutz für die Betroffenen ist. Und mich stört auch, dass es nur die Anwälte sind, deren Aufwand einer Scheinkontrolle – mehr kann es nicht sein – unterstellt wird.
Es mag sein, dass es Auswüchse gibt und es einige etwas zu genau nehmen, aber letztlich (und das hören die Anwälte halt nicht so gern) geht es um die Auszahlung von Steuergeldern, über die die Behörden und Gerichte nicht nur den jeweiligen Verfahrensparteien, sondern auch der parlamentarischen Aufsicht und letztlich dem Steuerzahler Rechenschaft schuldig sind. Genauso wie etwa Gutachter und Dolmetscher müssen sich deshalb auch Anwälte die Prüfung ihrer Rechnung gefallen lassen. Dass die Rechtsmittelinstanzen dabei nur zurückhaltend in das Ermessen der unteren Instanzen eingreifen, ist jedenfalls solange gerechtfertigt, als diese ihrerseits die Angemessenheit der Rechnungen auch zurückhaltend überprüfen. Über die Angemessenheit von Anwaltsrechnungen im Einzelfall können die Meinungen aber zugegebenermassen weit auseinandergehen.
Ich kann grundsätzlich (fast) allem zustimmen. Aber: Honorare für Gutachter und Dolmetscher werden nie gekürzt (mir ist nach über 20 Jahren Berufserfahrung kein einziger Fall bekannt; die haben übrigens auch keine UP-Tarife), Honorare von Opfervertretern fast nie. Kosten- und Effizienzkontrolle in Ehren, aber wieso faktisch nur bei den Verteidigern?
Dem muss ich widersprechen: Anwälte werden (bei uns jedenfalls und nein, ich verrate nicht, wo) gleich behandelt, unabhängig von ihrer prozessualen Funktion. Nach meiner Erfahrung geben Opfervertreter sogar eher häufiger Anlass zu Kürzungen als Verteidiger. Auch Dolmetschern habe ich schon einige Male das Honorar gekürzt. Kürzungen bei Gutachtern sind zahlenmässig zugegeben wohl eher Ausnahmefälle, aber auch schon vorgekommen.
Tja, ich schätze Anwälte und Richter werden sich wohl nie ganz einig sein. Wahrscheinlich gibt es viele Misstverständnisse, weil sie Mühe haben, den jeweils anderen – und sein Verständnis seines jeweiligen Jobs – zu verstehen. Ich verstehe etwa oft nicht, wieso Gerichte so pingellig sind und scheinbar Stunden damit verbringen, Kostennoten um ein paar Minuten zu kürzen.
Interessant finde ich auch, dass ohnehin (fast) jeder das Gefühl hat, der andere verdiene (vermeintlich) viel mehr als er selber. Da fragt man sich halt schon, ob dies allenfalls ein Grund für gewisse Kürzungen von Kostennoten ist – oder ob man darum denkt, andere Berufsgruppen würden bevorzugt.