Verteidigungskosten: Gleichbehandlung privater und amtlicher Verteidigung

Nach einem heute online gestellten Entscheid des Bundesgerichts (BGer 6B_63/2010 vom 06.05.2010) ist der Entschädigungsanspruch des Beschuldigten nach dem Prinzip des Obsiegens und Unterliegens zu verlegen. Für die Höhe der Verteidigungskosten keine Rolle spielt grundsätzlich, ob der Obsiegende privat oder amtlich vertreten war. Die unterschiedliche Behandlung von privat und amtlich Verteidigten verletzt den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV). Es war daher im vorliegenden Fall aus dem Kanton Graubünden nicht zulässig, den Stundenansatz des amtlichen Verteidigers auf CHF 200.00 zu kürzen:

Weder in Art. 160 Abs. 4 noch Art. 161 StPO/GR wird die Frage beantwortet, ob bei der Entschädigung an den amtlich verteidigten Freigesprochenen bzw. Obsiegenden im Berufungsverfahren von einem niedrigeren Stundenansatz ausgegangen werden kann als bei einem privat Verteidigten. Die Regelung nach Art. 5 HV/GR, gemäss welcher das Honorar des amtlichen Verteidigers Fr. 200.– pro Stunde beträgt, differenziert nicht zwischen Freispruch und Schuldspruch respektive Obsiegen und Unterliegen. Die Bestimmung ist einschränkend dahingehend auszulegen (sog. teleologische Reduktion), dass sie nur im Fall des amtlichen Verteidigers des verurteilten Beschuldigten Anwendung findet, und nicht auch im Fall des freigesprochenen Angeschuldigten. Dazu ist festzuhalten, dass der Staat durch die Zahlung einer Entschädigung an den Freigesprochenen bzw. dessen Verteidiger keine Sonderleistung erbringt (im Gegensatz zur Zahlung einer Entschädigung an den amtlichen Anwalt des verurteilten Beschuldigten). Die Entschädigung durch den Staat ist wegen des Freispruchs geschuldet, ohne Rücksicht darauf, ob der Freigesprochene privat oder amtlich verteidigt war.
Die Höhe des Entschädigungsanspruchs des obsiegenden Angeschuldigten ist mit Blick auf die Regelung in der StPO/GR unabhängig davon festzusetzen, ob er privat oder amtlich verteidigt war. Entgegen der Darstellung der Vorinstanz (Vernehmlassung S. 2) wird eine unterschiedliche Behandlung der amtlich und privat verteidigten obsiegenden Angeschuldigten nicht ausdrücklich in Art. 3 und Art. 5 HV/GR geregelt. Den kantonalen Bestimmungen lassen sich somit keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf eine unterschiedliche Behandlung der Entschädigungsansprüche der amtlich oder privat verteidigten obsiegenden Angeschuldigten hinweisen würden. Dies hat zur Folge, dass die Verteidigungskosten nach dem Prinzip des Obsiegens und Unterliegens zu verlegen sind (BGE 121 I 113 E. 3d S. 116). Die von der Vorinstanz vertretene Ansicht führt zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung hinsichtlich der Entschädigungsansprüche der amtlich und privat verteidigten obsiegenden Angeschuldigten (E. 2.4, Hervorhebungen durch mich).
Dem Bundesgericht kann jedenfalls im Ergebnis nur zugestimmt werden. Nicht ganz wohl ist mir dabei, dass der Entscheid  an der Rechtsgleichheit festgemacht wird (in BGE 121 I 113 war es willkürliche Anwendung kantonalen Rechts, die zum gleichen Ergebnis geführt hatte). Nicht klar ist mir zudem, welche Auswirkungen das Urteil unter dem Regime der Schweizerischen Strafprozessordnung hat. Ist es nun den Kantonen überlassen, noch rasch eine gesetzliche Grundlage für eine an sich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung einzuführen? Würde eine solche Grundlage im kantonalen Recht vor der Bundesverfassung stand halten?