Vertrauen auf falsche Rechtsmittelbelehrung und gesetzgeberischen Irrtum
In einem Streit um eine Kostennote führte ein amtlicher Verteidiger gestützt auf die Rechtsmittelbelehrung Beschwerde. Im kantonalen Beschwerdeverfahren hat sich herausgestellt, dass sich die Rechtsmittelbelehrung auf eine kantonale Norm (§ 94 GOG / AG) stützte, die der Gesetzgeber im Zuge der Inkraftsetzung der Schweizerischen Strafprozessordnung versehentlich nicht aufgehoben hat. Das Obergericht des Kantons Aargau trat auf die verspätete Beschwerde nicht ein und warf dem amtlichen Verteidiger im Ergebnis vor, das Versehen des Gesetzgebers nicht bemerkt zu haben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Anwalts gut, ohne allerdings zu erwähnen, welcher Beschwerdegrund denn eigentlich durchdrang (BGer 6B_4/2012 vom 12.06.2012):
Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung ist ohne Konsultation von Rechtsprechung und Literatur nicht klar, dass die StPO keinen Raum mehr für eine kantonale Regelung zulässt. Im Gesetzestext selbst findet sich keine derartige explizite Aussage. Die Vorinstanz zitiert den Basler Kommentar mit Hinweis auf Niklaus Schmid, um aufzuzeigen, dass die StPO eine umfassende und grundsätzlich abschliessende Kodifikation sei. Wenn sie nur “grundsätzlich” abschliessend ist, muss es Ausnahmeregelungen geben. Da gerade Anwaltstarife nach wie vor kantonal geregelt sind, wäre es denkbar, dass auch die Rechtsmittel gegen Entschädigungsentscheide weiterhin kantonalem Verfahrensrecht unterliegen. Nicht abwegig ist eine solche Sicht der Dinge jedenfalls im Kanton Aargau, der im Zusammenhang mit der StPO sein Gerichtsorganisationsgesetz revidiert und dabei die 20-tägige Frist für die Anfechtung von Entschädigungsentscheiden beibehalten hat. Dass es sich dabei um ein Versehen handelt, ergibt sich erst nach einem Blick in Rechtsprechung und Literatur. Dem Beschwerdeführer kann somit nicht vorgeworfen werden, er habe sich grob unsorgfältig verhalten, als er auf die falsche Rechtsmittelbelehrung der zuständigen Behörde vertraute (E. 2).
Gemäss dem Entscheid wird hier zudem eine “zukünftige Sache” beurteilt… – anders formuliert: wie viele falsche Daten darf ein höchstrichterliches Urteil aufweisen?