Vertretung oder Rechtsberatung?

Gestützt auf eine Empfehlung ihrer Rechtsschutzversicherung hat eine Beschuldigte auf die Einsprache gegen einen Strafbefehl verzichtet. Nach Ablauf der Einsprachefrist kam sie aufgrund der Auffassung eines Anwalts zum Schluss, dass der Verzicht falsch war. Sie versuchte daher, die verstrichene Frist wieder herzustellen mit der Begründung, sie selbst treffe kein Verschulden. Ihre damalige Rechtsvertreterin sei verantwortlich und zur Vertretung gar nicht befugt.

Das Bundesgericht teilt diese Meinung nicht (BGer 6B_503/2013 vom 27.08.2013):

Gemäss Art. 127 Abs. 5 StPO ist die Verteidigung der beschuldigten Person Anwältinnen und Anwälten vorbehalten, die nach dem Anwaltsgesetz berechtigt sind, Parteien vor Gerichtsbehörden zu vertreten. Diese Einschränkung gilt für die eigentliche Verteidigung, d.h. für die Bestellung eines Rechtsbeistands zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person, nicht aber für die allgemeine Rechtsberatung. Die Rechtsschutzversicherung hat denn auch die Beschwerdeführerin im Strafbefehlsverfahren nicht vertreten. Sie hat ihr aber aufgrund ihrer eigenen Einschätzung der massgebenden Rechtslage empfohlen, den Strafbefehl zu akzeptieren und auf eine Einsprache zu verzichten. Der Beschwerdeführerin hätte es jederzeit freigestanden, eine Zweitmeinung einzuholen oder einen Rechtsvertreter mit ihrer Verteidigung zu beauftragen. Sie hätte aber auch selbst Einsprache erheben können, zumal die Einsprache gegen den Strafbefehl durch die beschuldigte Person nicht näher zu begründen ist (vgl. Art. 354 Abs. 2 StPO). Die Beschwerdeführerin war somit ohne Weiteres in der Lage, während der laufenden Einsprachefrist ihre Interessen zu wahren. Von einer unverschuldeten Fristversäumnis kann keine Rede sein. Auch wenn ihre Entscheidung, auf die Einsprache zu verzichten, von der durchaus nachvollziehbaren Einschätzung durch die Rechtsschutzversicherung mitbeeinflusst war, leidet sie doch an keinem schwerwiegenden Mangel, sodass sich die Beschwerdeführerin heute damit abfinden muss (vgl. auch Urteil 6B_622/2012 vom 1. November 2012 E.1) (E. 3.4).