Verurteilt ohne Gelegenheit, Verteidigungsrechte auszuüben

X. suchte die Staatsanwaltschaft Neuenburg auf, um sich Kopien anfertigen zu lassen. Dabei verlangte er eine Entschädigung für seine Transportkosten und weigerte sich, die Amtsstelle wieder zu verlassen. solange seine Forderung nicht erfüllt sei. Daraufhin rief ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft die Polizei, welche mit vier Beamten unter der Leitung eines Korporals anrückte. Nach einer halbstündigen, erfolglos verlaufenen Diskussion beschloss der Korporal, X. mit Gewalt aus dem Gebäude zu entfernen und auf den Polizeiposten zu bringen. Ein Passant, der die Szene beobachtete, erachtete das Vorgehen der Beamten als zu brutal und veranlasste X. zur Strafklage wegen Amtsmissbrauchs. Auf die Klage folgte eine noch nicht beendete Odyssee durch die Mühlen der Justiz:

  1. Auf die Strafklage traten die zuständigen Strafverfolgungsbehörden mangels übermässiger Gewaltanwendung nicht ein.
  2. Der Nichteintretensentscheid wurde durch die Anklagekammer auf Beschwerde von X. hin aufgehoben.
  3. In der Folge wurden die Beamten B. und C. an den zuständigen Richter überwiesen wegen Verdachts der einfachen Körperverletzung (Art. 123 StGB), ev. der Tätlichkeit (Art. 126 StGB) und des Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB). Die Anklagebehörde beantragte Freispruch. Diesem Antrag folgte das Gericht.
  4. Auf Beschwerde von X. hin hat der Kassationshof den Freispruch von B. und C. kassiert und zur neuen Beurteilung zurückgewiesen. Der Kassationshof kam zur Auffassung, dass die beiden Beamten den Tatbestand des Amtsmissbrauchs erfüllt hätten. Zudem sei auch der Vorgesetzte A. zur Beurteilung zu bringen, zumal er den Einsatz geleitet hatte.
  5. Das Gericht sprach C. erneut frei, verurteilte dagegen A. und B. wegen Amtsmissbrauchs zu je einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von drei Tagen. Das Gericht prüfte den Sachverhalt nicht mehr, weil es sich an das Urteil des Kassationhofs, das sich ja gar nicht auf A. bezogen hatte, gebunden fühlte.
  6. Sowohl X als auch die beiden Polizisten A. und B. zogen diesen Entscheid erfolglos an den kantonalen Kassationshof.
  7. A. focht auch dieses Urteil an. Vor Bundesgericht rügte er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (staatsrechtliche Beschwerde) und die unrichtige Anwendung von Art. 312 StGB (Nichtigkeitsbeschwerde). Mit der Gehörsrüge drang der Beschwerdeführer selbstverständlich durch (6P.159/2006 vom 22.12.2006), denn er hatte gar nie Gelegenheit, sich zu verteidigen:

    En l’espèce, le recourant a été condamné sans avoir pu utilement s’exprimer et requérir des mesures d’instruction sur les questions de fait et de droit que le juge appelé à statuer dans sa cause doit résoudre. La procédure suivie par les autorités cantonales l’a donc manifestement privé de la faculté d’exercer son droit constitutionnel d’être entendu (E. 3.2).