Verwertbares Privatvideo

Eine an sich sehr spannende Verwertbarkeitsfrage löst das Bundesgericht mit der Gegenausnahme in Art. 141 Abs. 2 StPO (BGer 6B_1404/2019 vom 17.08.2020). Diese kam allerdings nur deshalb zur Anwendung, weil das Berufungsgericht (OGer AG) die Staatsanwaltschaft erfolgreich darum “ersuchte”, die Anklage zu ändern, wodurch aus einer nicht so schweren Straftat im Berufungsverfahren eine schwere i.S.v. Art. 141 StPO wurde. Dies hat der Beschwerdeführer vor Bundesgericht aber offenbar nicht gerügt.

Gegen diesen Entscheid erhob die Staatsanwaltschaft Berufung. Mit Verfügung vom 15. Oktober 2019 ersuchte der Verfahrensleiter des Obergerichts des Kantons Aargau die Staatsanwaltschaft um Ergänzung der Anklageschrift. Am 21. Oktober 2019 reichte die Staatsanwaltschaft die um eine Eventualvariante ergänzte Anklageschrift ein. Am 24. Oktober 2019 erklärte das Obergericht des Kantons Aargau A. der qualifiziert groben Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei einer Probezeit von 3 Jahren. 

Die bittere Folge:

Demgegenüber handelt es sich bei der Straftat der qualifiziert groben Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 SVG, um ein Verbrechen (Art. 9 Abs. 2 StGB; angefochtenes Urteil S. 13), wobei die Bestimmung ausschliesslich Freiheitsstrafe mit einem Strafrahmen von einem bis vier Jahren androht. Damit ist nach der Rechtsprechung die Voraussetzung für die Annahme einer schweren Straftat im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO erfüllt (vgl. BGE 146 I 11 E. 4.2; 137 I 218 E. 2.3.5.2; ferner Urteil 6B_902/2019 vom 8. Januar 2020 E. 1.4.1). Die Annahme der Vorinstanz, das Beweismittel sei zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich und mithin verwertbar, verletzt daher kein Bundesrecht (E. 1.4). 

Lesenswert sind aber primär die theoretischen Ausführungen des Bundesgerichts zur Verwertbarkeit (E. 1.3 und 1.4) bzw. der Teil der Theorie, den das Bundesgericht einfach überspringt und zur Interessenabwägung gelangt, bevor es die Hypothese legaler staatlicher Beweiserlangung prüft. Dies hatte die Vorinstanz noch getan, allerdings mit ziemlich abenteuerlicher Begründung des Ergebnisses. Hätte das Bundesgericht die aktuelle Literatur konsultiert, wäre der Entscheid möglicherweise anders ausgefallen (vgl. dazu Wohlers, Beweisverwertungsverbote nach privater Beweiserlangung – wann bzw. unter welchen Voraussetzungen dürfen rechtswidrig durch Private erlangte Beweismittel im Strafverfahren verwertet werden? FP 2020, Sonderheft 1, 206 f).