Verwirkter Konfrontationsanspruch?
In einem im Kanton Thurgau geführten Strafverfahren wurde der Konfrontationsanspruch eines Beschuldigten nach den Feststellungen des Bundesgerichts mehrfach verletzt. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde in diesem Punkt aber dennoch nicht ein, weil sie ungenügend begründet war (BGer 6B_573/2011 vom 27.11.2012). Im kantonalen Verfahren wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe die Anträge auf Konfrontation erst nach Anklageerhebung gestellt. Zudem seien die Konfrontationseinvernahmen gar nicht notwendig. Dieser Auffassung erteilt das Bundesgericht eine klare Abfuhr. Seine Rechtsprechung fasst es wie folgt zusammen:
Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt grundsätzlich ein absoluter Charakter zu (BGE 131 I 476 E. 2.2; 129 I 151 E. 3.1). Auf eine Konfrontation des Angeklagten mit dem Belastungszeugen oder auf die Einräumung der Gelegenheit zu ergänzender Befragung des Zeugen kann nur unter besonderen – hier nicht zutreffenden – Umständen verzichtet werden (hierzu ausführlich Urteil 6B_125/2012 vom 28. Juni 2012 E. 3.3.1 mit Hinweisen). Die Beantwortung von Fragen der Verteidigung an den Belastungszeugen darf nicht mittels antizipierter Beweiswürdigung als nicht notwendig erklärt werden (BGE 129 I 151 E. 4). Dies gilt entgegen dem Hinweis in BGE 129 I 151 E. 4.3 und der vorinstanzlichen Auffassung auch, wenn das streitige Zeugnis nicht den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Unerheblich ist, dass die belastende Aussage lediglich eines von mehreren Gliedern einer Indizienkette bildet (Urteil 6B_125/2012 vom 28. Juni 2012 E. 3.3.1 mit zahlreichen Hinweisen) [E. 2.4].
Der Antrag der Verteidigung war im Übrigen auch nicht verspätet. Grundsätzlich ist der Antrag “bis zum Abschluss der erstinstanzlichen Hauptverhandlung” zu stellen:
Der Beschwerdeführer verstösst entgegen der Vorinstanz nicht gegen Treu und Glauben, indem er nach Erhalt der Anklageschrift die Konfrontation mit Belastungszeugen verlangt. Ein Antrag auf Konfrontationseinvernahmen ist nach der Praxis des Bundesgerichts verspätet, wenn der Antrag nicht bis zum Abschluss der erstinstanzlichen Hauptverhandlung erfolgt, sofern der Beschwerdeführer bis dahin nach Treu und Glauben zur Antragsstellung Anlass gehabt hätte (Urteile 6B_647/2011 vom 29. Dezember 2011 E. 1.3; 6B_223/2011 vom 12. September 2011 E. 1.3; 6B_64/2010 vom 26. Februar 2010 E. 2.4; 6B_10/2009 vom 6. Oktober 2009 E. 2.2.5) [E. 2.6].
Trotz dieser klaren Erwägungen tritt das Bundesgericht nicht ein. Es begründet von E. 2.1 bis 2.8, wieso die Beschwerde gutzuheissen wäre, um sie dann abschliessend aus formellen Gründen abzuschmettern:
Der Beschwerdeführer begründet in weiten Teilen seiner Beschwerde nicht hinreichend, inwiefern aufgrund der nicht durchgeführten Konfrontationseinvernahmen seine verfassungsmässigen Rechte verletzt worden sind. Der allgemeine Vorwurf, dass Konfrontationseinvernahmen hätten durchgeführt werden sollen, genügt nicht. Der Beschwerdeführer müsste bei den einzelnen, von der Vorinstanz behandelten Anklagesachverhalten dartun, inwiefern sie sich auf Zeugen abstützt, mit denen er nicht konfrontiert wurde. Seine Behauptung, die Vorinstanz habe das belastende Material der befragten Zeugen direkt oder indirekt verwertet, obwohl sie es abgestritten habe, reicht als Begründung nicht aus. Insoweit ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten (E. 2.9).
In einem Punkt war die Beschwerde dennoch erfolgreich, was aber wohl nicht dazu führt, die Verletzungen des Konfrontationsanspruchs im Neubeurteilungsverfahren nochmals thematisieren zu können. Gutgeheissen wurde die Beschwerde, weil der Beschwerdeführer ohne ein einziges verwertbares Beweismittel zur Arglist wegen Betrugs verurteilt wurde:
Das Tatbestandselement der Arglist begründet die Vorinstanz ausschliesslich mit den von F. in ihrem Strafantrag ausführlich dargestellten Vorwürfen und den von ihr eingereichten Unterlagen (Urteil, S. 47 f.). Eine protokollierte polizeiliche oder untersuchungsrichterliche Befragung fand nicht statt. Aus den Akten ergibt sich einzig indirekt, dass zwischen dem Untersuchungsrichter und F. mündlich und schriftlich (per Fax) kommuniziert wurde. Entsprechende Dokumente und Gesprächsnotizen fehlen jedoch in den Akten. Die von der Vorinstanz weiter erwähnten Belegstellen (Einvernahmen des Beschwerdeführers, Ermittlungsbericht der Polizei) liefern keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer arglistig gehandelt hätte. Indem die Vorinstanz einzig auf die Begründung in der Strafanzeige von F. abstellt, hat sie den Sachverhalt, insbesondere zur Frage der Arglist, ungenügend abgeklärt. Die Verurteilung wegen Betrugs verletzt Bundesrecht (E. 3.2).
Es fällt schwer zu glauben, dass ein solches Urteil von einem kantonalen Obergericht stammen soll. Merkwürdig ist übrigens auch die aussergewöhnlich lange Verfahrensdauer am Bundesgericht.
Der Beschwerdeführer war anwaltlich vertreten. Insofern finde ich es ziemlich beunruhigend, dass die Beschwerde (angeblich) ungenügend begründet war – einerseits weil ein Anwalt das doch können sollte, andererseits weil das Bundesgericht doch nicht so verdammt formalitisch sein sollte. Was wollen die eigentlich erreichen – die Beschwerdeführenden und ihre Anwälte zu “besseren” Juristen konditionieren?
Dass die Begründung ungenügend sei, wird ja immer wieder geltend gemacht – Vertretung hin oder her. Und wenn die Begründung zu umfassend ist, gilt sie als appellatorisch. Es ist nicht leicht, den Mittelweg zu finden, den das Bundesgericht verlangt. Es verlangt im Übrigen auch nicht immer gleich viel.