Virtueller Krebstod im Kidstalk
Über 10 Jahre nach der ersten Kontaktaufnahme mit einem Mädchen in einem Chatroom wird der damals 36-jährige Mann eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten antreten müssen (sexuelle Handlungen mit einem Kind, (Art. 187 StGB). Der Fall ist strafrechtlich weniger interessant als der vom Bundesgericht festgestellte Sachverhalt, der reale und virtuelle Identitäten vermischt (BGer 6B_222/2012 vom 08.10.2012):
Im Winter 2001/2002 nahm der 1966 geborene X. im Bluewin-Chat “Kidstalk” Kontakt zur noch nicht 12-jährigen Y. auf und gab sich als 14-jähriger, in der Folge als 17-jähriger Bursche aus. Y. verliebte sich in ihn. X. und das Mädchen begannen sich SMS zu senden. Ab Herbst 2002 liess X. den “17-jährigen A.” an einem Tumor erkranken und sterben, wobei er sich in der Schlussphase des Sterbens als Onkel von “A.” ins Spiel einbrachte. Zuvor liess sich der “Sterbende” von Y. mit der Begründung, die Sehkraft zu verlieren, Fotos in Unterwäsche schicken und sandte ihr ein Paket mit einem Vibrator und einer mit Sperma befleckten Unterhose. Ca. Mitte März 2003 teilte X. Y. den Tod von “A.” mit. Das Mädchen erfuhr in diesem Zusammenhang, dass es sich bei “A.” in Wirklichkeit um X. , d.h. um einen rund 36- resp. 37-jährigen Mann, handelte. Im Zeitraum von April bis Dezember 2003 kam es zwischen diesem und der zwischenzeitlich 13- bzw. 14-jährigen Y. zu 15 Treffen mit sexuellen Handlungen.
Der Beschwerdeführer wurde nebst der Freiheitsstrafe mit einer ambulanten Massnahme (ohne Strafaufschub) belegt. Gemäss Gutachten leide der Beschwerdeführer
an einer deliktskausalen leichten psychosexuellen Entwicklungsstörung. Es zeige sich eine Diskrepanz zwischen real und virtuell gelebter Sexualität (E. 2.2).
Was dabei wohl übersehen wurde ist, dass auch eine bloss ambulant durchzuführende Massnahme eine schwere psychische Störung voraussetzt. Das Bundesgericht zitiert diese in Art. 63 StGB genannte Voraussetzung sogar ausdrücklich. Vielleicht gilt nach der schweizerischen Rechtsprechung aber jede psychische Störung als schwer. Ich habe in der Praxis jedenfalls noch nicht ein einziges Mal eine “unschwere” psychische Störung angetroffen.