Vitali Kalojew: Bundesgericht weist Beschwerden ab
Das Bundesgericht hat heute den begründeten Entscheid vom 08. November 2007 (Tötung eines Fluglotsen nach Flugzeugabsturz in Ueberlingen durch Vitali Kalojew; s. meine früheren Beiträge hier und hier) ins Netz gestellt (BGer 6B_401/2007 vom 08.11.2007, BGE-Publikation vorgesehen).
Das Bundesgericht hat die drei hängigen Beschwerden in einem Urteil abgewiesen. Es hat im Ergebnis erkannt, dass sowohl die Einsatzstrafe von 18 Jahren als auch die Reduktion wegen stark verminderter Schuldfähigkeit auf 5 1/4 Jahre bundesrechtskonform war.
Seine Rechtsprechung zur Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit fasst das Bundesgericht wie folgt zusammen und beginnt mit einem recht bemerkenswerten Satz:
Bei der Verminderung der Schuldfähigkeit ist die aus den Tatkomponenten resultierende Einsatzstrafe nach Massgabe der Verminderung der Schuldfähigkeit zu reduzieren. Die Täterkomponenten sind davon unabhängig zu bewerten. Allerdings können einzelne Tatsachen, welche die Verminderung der Schuldfähigkeit begründen, unter Umständen auch für die Gewichtung von bestimmten Täterkomponenten von Bedeutung sein. Die Reduktion der nach Einschätzung des Richters aus den Tatkomponenten resultierenden Einsatzstrafe um 75 % bei einer vom Richter gestützt auf ein als überzeugend erachtetes psychiatrisches Gutachten dem Täter zugebilligten schweren Verminderung der Schuldfähigkeit verstösst nicht gegen Bundesrecht. Eine Reduktion exakt in diesem Umfang ist aber bundesrechtlich nicht zwingend. Der Richter kann in Ausübung seines Ermessens die aus den Tatkomponenten resultierende Einsatzstrafe auch um etwas weniger herabsetzen, soweit diese Reduktion noch im gewissen Rahmen dessen liegt, was geboten ist, um einer schweren Verminderung der Schuldfähigkeit im vollen Ausmass der Verminderung Rechnung zu tragen. Eine diesen gewissen Rahmen unterschreitende Reduktion der aus den Tatkomponenten resultierenden Einsatzstrafe ist nur zulässig, wenn besondere Umstände dafür sprechen, die in der Urteilsbegründung darzulegen sind. Kein besonderer Umstand liegt in der Schwere von einzelnen Tatkomponenten, da die Tatkomponenten bereits bei der Bemessung der Einsatzstrafe nach Massgabe ihrer Schwere zu berücksichtigen sind. Ein besonderer Umstand liegt auch nicht darin, dass die Ursache der verminderten Schuldfähigkeit keinen Anlass zur Anordnung einer freiheitsentziehenden Massnahme gibt (E. 6.6, Hervorhebungen durch mich).
Ich gestehe: Was das Bundesgericht damit sagen will, verstehe ich nicht. Zu meiner Entlastung möchte ich darauf hinweisen, dass zwischen der Urteilsverkündung und der heutigen Publikation der Begründung vier Monate vergingen. Ein Strafverteidiger sollte daher auch ein paar Monate beanspruchen dürfen, um die Begründung zu verstehen.
Ohne dass es eine Partei gerügt hätte, befasst sich das Bundesgericht von Amts wegen mit der fahrlässigen „actio libera in causa“, die es aber verwirft. Selbst wenn sie bejaht werden müsste, hätte sie allerdings keinen Einfluss auf das Ergebnis:
Die Vorinstanz hat nämlich bei der Bemessung der Einsatzstrafe auf 18 Jahre straferhöhend berücksichtigt, dass objektiv gesehen auch der Anlass der Tat als nichtig bezeichnet werden müsse. Der Beschwerdeführer 2 habe gewisse – unter Berücksichtigung der äusseren Umstände absolut realitätsfremde – Erwartungen gehabt, wie sich der Fluglotse an jenem Abend ihm gegenüber hätte verhalten sollen. Als der Fluglotse sich nicht entschuldigt, sondern den Beschwerdeführer 2 abgewiesen habe, wobei in diesem Zusammenhang das Couvert zu Boden gefallen sei, welches – was der Fluglotse allerdings nicht habe wissen können – die Fotos der verstorbenen Angehörigen enthalten habe, habe der Beschwerdeführer 2 das Messer hervorgeholt und den Fluglotsen brutal niedergemetzelt. Mit diesen Ausführungen hat die Vorinstanz verschiedene Umstände bereits straferhöhend berücksichtigt, aus welchen sich allenfalls auf eine fahrlässige „actio libera in causa“ schliessen liesse (E. 7.4).