Volle Akteneinsicht erst nach Schlusseinvernahme?
Mit dem Segen der Beschwerdekammer des Obergerichts wollte die Staatsanwaltschaft in Burgdorf einem Beschuldigten selbst vor der Schlusseinvernahme noch nicht volle Akteneinsicht gewähren. DAs Bundesgericht stellt gleich mehrere Widersprüche fest und weit die Staatsanwaltschaft gleich selbst, an, die Akteneinsicht zu gewähren (BGer 1B_585/2021 vom 16.02.2022):
2.3.1. […]. Diese Ankündigung der Schlusseinvernahme und die (teilweise) Beschränkung der Akteneinsicht gestützt auf Art. 101 Abs. 1 StPO stehen in einem unauflösbaren Widerspruch: Die Schlusseinvernahme gemäss Art. 317 StPO wird, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, dann durchgeführt, wenn die Staatsanwaltschaft die Untersuchung im Sinne von Art. 318 Abs. 1 StPO für vollständig hält (…). Die wichtigsten Beweise im Sinne von Art. 101 Abs. 1 StPO wiederum sind Beweismittel, ohne deren Erhebung die materielle Wahrheit nicht erforscht bzw. das Verfahren nicht mit Anklage, Einstellung oder Strafbefehl abgeschlossen werden kann (…). Eine vollständige Untersuchung setzt demnach voraus, dass die wichtigsten Beweismittel im Sinne von Art. 101 Abs. 1 StPO erhoben sind. Indem die Staatsanwaltschaft die Schlusseinvernahme ankündigte, brachte sie nach dem Gesagten zum Ausdruck, dass sie die Untersuchung für vollständig und damit – notwendigerweise – auch die wichtigsten Beweise für erhoben hält.
2.3.2. Den vorinstanzlichen Akten lässt sich weiter entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer in ihrer inoffiziellen Ankündigung des Untersuchungsabschlusses aufforderte, seine Verfügbarkeiten im Hinblick auf die Durchführung der Schlusseinvernahme zu kommunizieren. Für den Unterlassungsfall drohte sie ihm an, sie werde auf die Durchführung der Schlusseinvernahme verzichten und das Verfahren ohne eine solche abschliessen. Auch hier liegt ein Widerspruch vor. Einerseits soll der im Rahmen der Schlusseinvernahme geplanten Befragung des Beschwerdeführers zu den Aktenstücken, bezüglich welcher ihm die Akteneinsicht verwehrt worden ist, eine entscheidende Bedeutung zukommen und soll die Befragung deshalb ein wichtiges Beweismittel im Sinne von Art. 101 Abs. 1 StPO darstellen. Andererseits ist die Staatsanwaltschaft scheinbar ohne weiteres dazu bereit, vollständig auf diese Befragung zu verzichten und das (Vor-) Verfahren ohne sie abzuschliessen. Auch in dieser Hinsicht lässt das Vorgehen der Staatsanwaltschaft keinen anderen Schluss zu, als dass es sich ihrer Ansicht nach bei dieser Befragung gerade nicht um ein wichtiges Beweismittel im Sinne von Art. 101 Abs. 1 StPO handelt, ohne welches das Verfahren nicht abgeschlossen werden könnte.