Vom Obergericht zurück an die Staatsanwaltschaft oder vom Anklageprozess zurück in die Inquisition

Die NZZ berichtet über einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich, das in einem Mehrheitsentscheid beschlossen hat, einen Fall, der sich vor vier Jahren ereignet hatte, vom Berufungsverfahren direkt an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, weil die Anklageschrift lückenhaft sei.

Die „Lücke“ liegt darin, dass die Staatsanwaltschaft in der Anklage das Thema des Eventualvorsatzes nicht erwähne. Die Richter kamen offenbar zum Schluss, dass eine Verurteilung wegen (eventual-) vorsätzlicher schwerer Körperverletzung (Art. 122 StGB) angezeigt wäre, die Anklage aber nur auf fahrlässige schwere Körperverletzung (Art. 125 StGB) laute.

Das Obergericht ist auf die Anklageschrift nicht eingetreten. Es sei sich der damit verbundenen prozessualen Komplikationen bewusst. Doch

die Überzeugung der Richter, dass nicht aufgrund einer (ihrer Auffassung nach) lückenhaften Anklageschrift entschieden werden kann, darf auf derartige Konsequenzen keine Rücksicht nehmen – im Bestreben, ein gerechtes Urteil zu fällen.

Nun, es würde ja reichen, wenn die Mehrheit des Gerichts wenigstens auf das Gesetz Rücksicht nehmen würde. Das war zuviel verlangt, weil das Gesetz eine Rückweisung im Berufungsverfahren mit gutem Grund nicht vorsieht. Mit seinem Beschluss stellt das Gericht das eigene Gerechtigkeitsempfinden über das Gesetz. Damit hat die Mehrheit des Gerichts offensichtlich nicht verstanden, was seine Aufgabe ist. Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass manche Strafrichter die Inquisition geistig nie überwunden haben.