Von 245 Festnahmen in Luzern und der Euro 08
Einen kleinen Vorgeschmack auf die “Sicherheitsmassnahmen” rund um die Euro 08 hat am Wochenende die Luzerner Polizei mit 245 Festnahmen geliefert. Die Festnahmen standen im Zusammenhang mit einem nicht bewilligten Strassenfest der “Aktion Freiraum” und hatte mit der Euro 08 insofern zu tun, als die Augen der Medienwelt wegen des Final Draw auf Luzern gerichtet waren, das sich schliesslich als saubere Stadt präsentieren wollte.
Nun würde man vielleicht glauben, dass 245 Festnahmen in einem Land wie der Schweiz zumindest für ein paar Tage die Medien füllen würden. Über viel mehr als eine Randnotiz kamen sie aber nicht hinaus. Löbliche Ausnahme ist der Tages-Anzeiger. Dass der Polizeieinsatz eine breitere (und vielleicht auch eine kritische) Würdigung verdienen würde, zeigen die Leser-Kommentare auf NZZonline.
Aus der Medienmitteilung der Stadtpolizei:
Im Vögeligärtli hatten sich um 20 Uhr rund 100 Personen versammelt. Weitere rund 700 Demonstranten und Sympathisanten hatten sich in mehreren Gruppen ausserhalb der Innenstadt getroffen. Die Polizei hat im Vögeligärtli und an der Zentralstrasse insgesamt 245 Personen in Polizeigewahrsam genommen, um mögliche Ausschreitungen im Verlauf der Nacht zu verhindern. Minderjährige Festgenommene wurden schnellstmöglich den Eltern übergeben. Die hohe Zahl der Festgenommenen führte dazu, dass die Durchlaufzeit zur Abarbeitung der ersten Ermittlungen relativ lange dauerte. Bis am Sonntagmorgen um 7.30 Uhr sind die Personen mit der Priorität Frauen und Jugendliche nach und nach wieder entlassen worden.
Und was bitte gab es da zu ermitteln und abzuarbeiten? Hat sich jemand strafbar gemacht? Was war die Rechtsgrundlage für die Festnahmen?
Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich hoffe sehr fest, dass die aufs Gröbste verklagt werden. Die Aktion (und die darauf folgenden Äusserungen noch fast mehr) der Polizei ist äusserst skandalös.
Eigentlich wusste jeder, dass die Demo verboten wurde.
Und seit dem 6. Oktober als die städtischen und auch kantonalen Weicheier von Bern es nicht geschafft haben, eine Demo von linken Chaoten, die ‘nur ganz leicht’ degeneriert ist, unter Kontrolle zu halten, wird halt sofort reagiert.
Ausser vielleicht in der Stadt Bern, die ja als mehr oder weniger rechtsfreien Raum die Reithalle hat.
Abgesehen davon ist die Teilnahme an unbewilligten Demos nicht erlaubt, deswegen sind sie ja nicht bewilligt worden – ansonsten wäre es nicht strafbar.
Die Linke kann sich dieses Verhalten der Polizei selber zuschreiben – hätte es keinen 6.10 gegeben, hättte man die Demo wahrscheinlich still geduldet.
Sucht Herr Jeker noch Klienten im linksextremen Milieu?
Die Situation kennt man auch aus Zürich: Unbewilligte Kundgebungen, Sachbeschädigungen, die Polizei schreitet ein, leider selten mit Verhaftungen. Wieso sollte man jugendliche Chaoten nicht zur Verantwortung ziehen? Klar ist dabei auch, dass es Zeit benötigt, 100+ mutmassliche Straftäter zu registrieren und zu vernehmen, in Zürich kennt man das unter anderem auch vom WEF her.
Schön, dass sich die Luzerner gewissenhaft vorbereitet haben. Und bedenklich, dass ein Rechtsanwalt die Polizei nicht in Ihrer Arbeit unterstützt, sondern Chaoten in Schutz nimmt. Suchen Sie Klienten oder haben Sie einfach Angst, dass bei Ihnen die Scheiben eingeworfen werden und Schlimmeres?
Ach, Herr Daniel. Hat die Polizei nicht mitgeteilt, es habe keine Sachbeschädigungen gegeben? Weshalb sprechen Sie von mutmasslichen Straftätern? Und was war denn die Rechtsgrundlage für die Festnahmen?
Die Polizei braucht übrigens meine Unterstützung ebensowenig wie Ihre “Chaoten” und Angst vor eingeworfenen Scheiben und Schlimmerem haben wir doch alle.
Was genau ist strafbar, mousseman?
Ich interpretiere es so, dass der FIFA gezeigt werden sollte, alles “im Griff” zu haben – und zwar wortwörtlich.
das war keine demo von linken chaoten, die meisten an dieser demo wurden noch nie verhaftet, viele nahmen noch nie an einer demo teil, die wenigsten an einer unbewilligten. aber egal wer es ist. wenn leute stundenlang in zellen festgesetzt werden ohne wasser und ohne zugang zu einer toilette, dann ist das in jedem fall unmenschlich.
Scheinbar wurden die Leute teilweise bis zu 12 Stunden zu zehnt oder zwölft in engen Räumen ohne sanitäre Einrichtungen festgehalten. Als Routinemassnahme verlangte die Polizei von allen, dass sie sich nackt auszogen! Darunter waren viele Schaulustige, Journalisten und viele Minderjährige, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Es gab im Übrigen keinerlei Sachbeschädigung oder Gewalttaten, die Demonstranten hatten eine friedliche Kundgebung angekündigt. Sie wurden von der Polizei nicht aufgefordert, den Platz zu räumen. Ich verstehe nicht, wieso man die Leute einfach “eingepackt” hat, anstatt auf Deeskalation zu setzen und mit Strassensperren zu verhindern, dass die Demo Richtung KKL, wo die Fussballgrössen waren, loszog. Und die scheinbar nicht nur in Luzern gängige Massnahme des Nackt-Ausziehens ist schlichtweg menschenverachtend und ohne konkrete Anhaltspunkte dafür, dass jemand Drogen oder Waffen am Körper trägt, rechtlich nicht zulässig!
Zwei Anmerkungen:
1. Gesteigerter Gemeingebrauch wie wohl im diskutierten Fall setzt eine Bewilligung voraus, darauf gibt es keinen absoluten Anspruch. Erhält man keine Bewilligung, kann man dagegen Rechtsmittel ergreifen, trotzdem zu «demonstrieren» ist der falsche Weg und wer diesen Weg beschreitet, darf nicht erstaunt sein, wenn eine nicht erteilte Bewilligung (Verbot) durchgesetzt wird. Ich gehe davon aus, dass es dafür auch im Kanton Luzern Rechtsnormen gibt.
2. Das polizeiliche Vorgehen bei Verhaftungen und beim Umgang mit Verhafteten erstaunt mich immer wieder. Einerseits wird häufig ohne klar erkennbaren Haftgrund verhaftet, so wohl auch hier, andererseits ist der Umgang mit Verhafteten völlig unverhältnismässig, das Jugendstrafrecht mit seinen Schutznormen wird mehrheitlich ignoriert.
@kl: Möchten Sie nicht noch ein paar Worte als Fachmann verlieren? Ich fände es interessant!
Ich bin mit beiden Anmerkungen einverstanden. Ich finde es auch richtig, dass ein Verbot durchgesetzt wird. Die Frage ist nur, wie das geschehen soll.
Sobald wir in einem Bereich sind, in dem strafbare Handlungen verfolgt werden müssen, ist die Anordnung einer Festnahme oder gar von Untersuchungshaft denkbar. Anwendbar sind die kantonalen Polizeigesetze oder die Strafprozessordnungen.
Das Problem sind die rein präventiven sicherheitspolizeilichen Einsätze. Um einen solchen scheint es sich in Luzern gehandelt zu haben. Auf Bundesebene haben wir seit Kurezm für diesen Bereich gesetzliche Grundlagen, auch für den präventiven Polizeigewahrsam (BWIS). Diese Grundlagen waren in Luzern aber mit Sicherheit nicht anwendbar.
Denkbar ist nur noch, dass der Kanton Luzern für präventive Festnahmen über kantonalrechtliche Grundlagen verfügt, was ich mir aber nicht vorstellen kann. So auf die Schnelle habe ich lediglich § 16 des Polizeigesetzes gefunden. Danach können Personen in polizeilichen Gewahrsam genommen werden, wenn sie sich oder andere ernsthaft und unmittelbar gefährden. Das wird man den Demonstranten ja wohl aber nicht unterstellen können. Das würde dann aber bedeuten, dass die Festnahmen ohne den Verdacht auf strafbare Handlungen illegal gewesen wären.
Sehe ich eigentlich richtig, dass man gegen ein solches polizeiliches Vorgehen rechtlich gar nicht sinnvoll vorgehen kann?
Der Haftrichter kommt aufgrund der kurzen Haftdauer gar nie ins Spiel, für eine Genugtuung ist der Eingriff wohl trotz allem nicht schwer genug, und bei der zu erwartenden Einstellung der Verfahren eine richterliche Beurteilung zu verlangen aufwendig und allenfalls auch riskant. Und im Moment der Verhaftung und bei den weiteren Schritten (Durchsuchung, Fesselung, Transport, Erfassung Erkennungsdienst, Unterbringung, Befragung) hat man es ständig mit Realakten von Polizisten zu tun, die einem keine anfechtbaren Verfügungen entgegenstrecken …
Ich sehe hier als Laie, dass Strafrecht interessant sein kann. Aber auf den ersten Blick frustrieren mich die anscheinend fehlenden Handlungsmöglichkeiten auch!
Man kann dagegen vorgehen, wenn man Geld, Zeit und Nerven hat. Erreichen kann man aber nichts, das auch nur annähernd den Aufwand lohnen würde. Aber wir Schweizer wollen das offensichtlich so oder sind einfach zu bequem, es zu ändern.
Die Polizeiaktion war ohne Zweifel nicht verhältnismässig. Die Demo war zwar unbewilligt, aber nicht gewalttätig.
Ich frage mich grundsätzlich, wie ein verhältnismässiges Einschreiten in solchen Fällen aussehen soll. Gibt es ein milderes Mittel, um solche unbewilligten Demonstrationen zu verhindern. Oder muss der Staat unter gewissen Umständen (im Sinne der Verhältnismässigkeit) die Durchführung einer unbewilligten Demonstartion tolerieren ?
Sicher muss vor einer Verhaftung eine Warnung erfolgen. Was aber, wenn die Demonstranten trotzdem weiter demonstrieren ?
Nur zwei kurze Bemerkungen. Teilnahme an unbewilligter Demo ist, nachdem, was ich auf die Schnelle gefunden habe, nach kantonalem Übertretungsstrafrecht nicht strafbar. Also ein rein präventiver Einsatz, bei dem zwingend die Verhältnissmässigkeit gewahrt werden muss. Hier noch ein “Augenzeugenbericht”: http://www.20min.ch/news/luzern/story/22345959
M. E. war der Polizeieinsatz in Luzern durchaus verhältnismässig.
Die Polizei hat die Möglichkeit, präventiv vorläufige Festnahmen durchzuführen.
So kann doch auch § 54 der Luzerner StPO als rechtliche Grundlage heran gezogen werden: Festnahme bei Übertretungen
Der auf frischer Tat Angehaltene kann wegen Übertretungen nur festgenommen werden wenn: (2) sein Verhalten unmittelbar eine weitere strafbare Handlung oder Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung befürchten lässt.
Die Teilnahme an einer nicht bewilligten Demo oder an einem Fest, wie auch immer, stellt eine Übertretung dar. Bei klar ersichtlichen strafbaren Intentionen der Teilnehmenden (Blockade von Strassen, usw.) ist eine vorläufige Verhaftung durchaus angebracht, ja zum Schutze der Grundrechte Dritter geboten! Hier muss eine Abwägung vorgenommen werden. Will man einen unkontrollierbaren Verlauf in Kauf nehmen (wie vor noch nicht langer Zeit in Bern geschehen) oder nutzt man die 24 Stunden Polizeihaft?
Das einzige, das man kritisieren könnte, ist, dass Unbeteiligte nicht sofort freigelassen wurden. Aber auch hier sollte man sich der Schwierigkeiten, welche bei der Separation von Beteiligten und Nichtbeteiligten auftreten, bewusst werden.
Insgesamt ergibt sich so ein sehr gutes Bild der Luzerner Polizei. Schön zu sehen, dass man in unserer Stadt noch durchzugreifen gewillt ist, und dies mit Erfolg.
Naja, Luzerner, § 54 StPO hat ja auch noch eine Ziffer 1: “wenn er der Polizei unbekannt ist und sich über Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnort und Heimatort nicht ausweist, es sei denn, er leiste hinreichende Sicherheit;” Auch nicht klar ist mir, wieso die Teilnahme an einer unbewilligten Demo strafbar sein soll.
Ich bin interessiert an der (fehlenden?) Rechtsgrundlage.
Ich habe ein Papier zu lesen bekommen auf dem stand, dass ich festgenommen wurde weil ich mich oder andere gefärdet habe.
(Habe ich natürlich nicht. Ich stand da einfach.) Das betrifft dann wohl den von kj zitierten §16.
Ich habe mich auch vor Ort ausweisen können.
Warum musste ich mich jedoch ausziehen? 8 Stunden warten? Die Zustände in den Zellen?
Fesseln? Frühmorgens in Kriens ausgesetzt werden? Pfefferspray abbekommen? Den Mehrzweckstock ins Gesicht? Ohne jegliche Gewalt meiner Seite?
Ich habe nach etwas Nachdenken gemerkt, dass die Fragen in meinem vorherigen Beitrag teilweise schon beantwortet sind.
Die Dauer meines Aufenthaltes im improvisierten Knast lag daran, dass viel zu viele festgenommen wurden und die Polizisten und Zivilschützler im Sonnenberg hoffnungslos überfordert waren, darum das lange warten. Die Gesetzes-Limite von 24 Stunden wurde nicht überschritten. Beanstanden möchte ich die Organisation natürlich trotzdem. Nur die militärische Organisation des Einkesselns war tadellos effizient.
Zudem ist mir klar, dass ich wegen der Gewalt, die mir grundlos von Polizeiseite mit zweckentfremdeten “Mehrzweckstock” widerfahren ist, eine Anzeige wegen Körperverletzung machen kann. Ich denke darüber nach, Arztzeugnis ist vorhanden.
Die Frage nach der Verhältnismässigkeit erledigt sich für mich von alleine. Ich möchte dazu nochmals betonen, dass nur die Polizei gewaltbereit war.
Da dies eine Seite mit Fokus geltendes und neues Recht ist bleibt jedoch die wichtige Frage nach der Rechtsgrundlage; warum man festgenommen wurde und ob die Festnahme rechtmässig ist.
Ist es strafbar, an einer unbewilligten Kundgebung teilzunehmen? (Nach “sue” weiter oben nicht.) Ab wann gilt §16, was heisst jemanden oder mich gefährden genau? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Voraussetzung dazu erfüllt war, man wurde ja präventiv festgenommen, nicht weil schon etwas geschehen war.
Es erscheint mir sehr willkürlich, man hätte einfach jede Person die in Luzern herumlief präventiv festnehmen können mit der Begründung, dass sie sich mit anderen Leuten trifft (Versammlung), eine Meinung hat und vielleicht später etwas unrechtsmässiges tun könnte (Verdacht auf zukünftige Sachbeschädigung?! 245 Personen?!).
Und es bleibt die Frage nach der Behandlung (Fesseln und Handschellen, in Kriens oder Emmen ausgesetzt, Zustand der Zellen). Ich glaube hier könnten Beschwerden eingereicht werden.
Mich interessiert noch immer, was die rechtskundigeren LeserInnen dieser Seite dazu meinen.
Der Festgenommene schrieb: “Mich interessiert noch immer, was die rechtskundigeren LeserInnen dieser Seite dazu meinen”
Das stellt sich die Frage
rechtskundiger als wer? etwa doch nicht als kj? 🙂
Rechtskundiger als kj würde hier allemal helfen. Nach dem Stand meiner Rechtskunde ist die Festnahme nach wie vor illegal. Ich warte noch immer auf eine vertretbare Gegenmeinung.
Die Polizei hält die eigenen Gesetze nicht ein.Wenn es stimmt und es scheint so zu sein,dass sie auch klar ersichtlich Minderjährige festgenommen hat,diese dann der entwürdigenden Prozedur einer Nacktkörpervisitation unterzogen hat,dann ist dies klar illegal.Das darf nur in klar begründeten Fällen die Jugenanwaltschaft anordnen.In meinen Augen sind solch Bullen perverse Kinderficker,haben vielleicht gar noch heimlich “Kinderfötelis”gemacht,oder die Zivischützer.
Ich glaube nun auch zu wissen,was Nazisturmtruppen sind.
[Zitat von kj]
Ach, Herr Daniel. Hat die Polizei nicht mitgeteilt, es habe keine Sachbeschädigungen gegeben?
[/Zitat]
Diese Aussage kann ich so leider nicht bestätigen. Zumindest hat mein Auto seit dem 1. Dezember ein ziemlich tiefen Kratzer sowie eine Beule vorne links im Kotflügel. Wieso? Am Anfang der Pilatusstrasse (Richtung Obergrundstrasse) wurde die Strasse blockiert. Nach einiger Wartezeit wurde die Blockade weggezogen, sodass man weiterfahren konnte. Als ich auf der Höhe der Blockade war wurde diese jedoch wieder in die Strasse geschoben bzw. in mein Auto. Meines Erachtens läuft das unter die Rubrik “Sachbeschädigung” und nicht unter die Rubrik “Nicht beherrschen des Fahrzeuges”. Oder sehe ich das falsch?