Von Behörden und Gerichten
Aus einem aktuellen Urteil des Bundesgerichts zur Frage der Verletzung des Beschleunigungsgebots (BGer 6B_1135/2022 vom 21.09.2023):
Von den Behörden und Gerichten kann nicht verlangt werden, dass sie sich ausschliesslich einem einzigen Fall widmen (E. 7.3.2).
Mein Recht ist nicht Dein Recht!
Ich spüre Kritik mitschwingen…
Intellektuell bin ich aber damit offensichtlich überfordert, ich verstehe sie nämlich nicht. @kj: Können Sie mir erklären, was Sie an diesem Satz stört?
Weil es einfach unfair ist (Waffengleichheit): Vom Anwalt/Bürger erwartet das Gericht, dass er sich mit nur einem Fall beschäftigt (siehe Fristen), selber aber jedoch mehrere Monate/Jahre benötigen, um eine Begründung zu schreiben…
Natürlich kann man ersuchen die Frist zu erstrecken, aber wir wissen ja alle wie das endet… Während die Staatsanwälte (oder Gerichte in nächsten Instanzen) ihre Fristerstreckungsgesuche mit “chronischer Überbelastung” begründen, reicht es beim Anwalt/Bürger nicht aus…
Die Justiz in Schaffhausen (Obergericht + Staatsanwaltschaft) hat mich im Sommer 2023 mit 6 fristgebundenen Schreiben (Strafbefehle sowie Stellungnahmen) beschäftigt: Ich musste somit 3 Beschwerden sowie 3 Stellungnahmen (nebst Rügen) innert 13 Tagen (mit jeweils 10 Tagen Frist) bewältigen, dabei hatte ich noch 3 weitere Beschwerden für das Bundesgericht zu schreiben (das Obergericht wusste von den Fristen beim BGer, denn sie haben ja die Entscheide dazu auch gefällt); Beim Obergericht habe ich deshalb bei den drei Stellungnahmen um Fristerstreckung für insgesamt nur eine Woche ersucht: Wurde nichte einmal beantwortet, auch nicht im Entscheid behandelt, obwohl diese formell-korrekt eingegangen sind (persönlich überbracht gegen Empfangsbestätigung). Als der Staatsanwalt jedoch in einem Fall, weil er Ferien zu dieser Zeit hatte, um Fristerstreckung ersuchte, erhielt er noch am selben Tag die Frist um fast einen Monat erstreckt. Willkommen in Schaffhausen. Meine Vermutung ist, dass diese Überlastung – wohlgemerkt eines Laien – zwischen Obergericht und Staatsanwaltschaft abgesprochen/geplant und kein Zufall war, aber beweisen kann ich es natürlich nicht.
Kleine Background-Info: Ich “führe” momentan 31 Fälle – fast alle den gleichen Lebenssachverhalt betreffend wie z.B. verweigerte Opferstellung, verweigerte Akteneinsicht etc. -, wovon 9 beim Bundesgericht pendent sind: Soweit ich weiss wird mein Fall ein Präzedenzfall werden, denn bislang hat das Bundesgericht – meines Wissens nach – noch nie beurteilt, ob Gefangene einfach so nackt im Gefängnis (vorläufige Festnahme) festgehalten werden dürfen – siehe Wikipedia Artikel “Gefängnis (Schaffhausen)” Abschnitt “Kritik” für weitere Details.
“Während die Staatsanwälte (oder Gerichte in nächsten Instanzen) ihre Fristerstreckungsgesuche mit “chronischer Überbelastung” begründen, reicht es beim Anwalt/Bürger nicht aus…”
Die Behörden haben ihre Arbeitsbelastung auch nicht in der Hand. Als Anwalt kann resp. sollte man seine Auslastung durchaus steuern können und nicht mehr Fälle annehmen, als man stemmen kann. Was nicht heisst, dass ich die teilweise absurde Handhabung der Fristerstreckungsgesuche gutheisse.
@Justizia: Genau das geht eben nicht. Man kann seine Auslastung als Anwalt praktisch nie steuern. Ich kann heute ein vom Aufwand her überschaubares Mandat annehmen, das morgen wegen der völlig unerwarteten Verhaftung meines neuen Mandanten explodiert. Ich kann auch nicht steuern, wann Verfügungen/Entscheide eingehen, die ich analysieren, mit meinem Mandanten besprechen und allenfalls anfechten muss, obwohl ich gerade mitten in einer mehrtägigen Hauptverhandlung stecke in einem Fall, den ich vielleicht im Jahr 2016 angenommen hatte. Selbst wenn ich so wenige Mandate führen würde, dass ich meistens über grosszügige zeitliche Reserven verfüge, kann ich unerwartet von heute auf morgen förmlich mit Arbeit zugepflastert werden. Mit solchen Reserven könnte ich mein Büro übrigens kaum noch so betreiben, dass ich Löhne bezahlen und selbst davon leben kann. Was uns Anwälten regelmässig das Genick zu brechen droht, sind die absurd kurzen gesetzlichen Fristen. Kein Wunder, dass man die behördlichen/richterlichen Fristen so oft erstrecken muss. Anders kann man sich die notwendige Zeit für das Unaufschiebbare nicht freischaufeln.
Ihnen wünsche ich viel Glück und Erfolg in dieser Sache!
@Thomas Lieven: Als Mitglied einer Behörde oder eines Gerichts würde ich den Satz natürlich nur begrüssen. Als Anwalt oder Bürger liest er sich nicht ohne schalen Beigeschmack, weil man als Anwalt oder Bürger liest, was das Bundesgericht nicht schreibt.
Thomas Held
@Thomas Lieven
1B_232/2017 und 1B_113/2017
«Auch wenn der Beschwerdeführer gewisse relevante Aktenstücke bei Beginn des [10-tägigen] Fristenlaufs [gegen 39 respektive 21 Genehmigungsentscheide des ZMG] noch nicht erhalten hatte, war es ihm zumutbar und möglich, diese während der Beschwerdefrist zu sichten. Von einem Rechtsanwalt darf erwartet werden, dass er sich vorab auf einen dringlichen Fall konzentriert. (…) Die Genehmigungsentscheide des Zwangsmassnahmengerichts weisen schliesslich zwar einen erheblichen Umfang auf, doch sind sie in vielen Punkten repetitiv, was daher rührt, dass sie sich alle auf den gleichen Sachverhaltskomplex beziehen.
Insgesamt hatte der Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund trotz der kurz bemessenen Frist von 10 Tagen ausreichend Zeit zur Erhebung einer hinreichend begründeten Beschwerde (E. 2.4.5).»
Ich hoffe, dass die Entscheide helfen, den von kj geäusserten «faden Beigeschmack» zu verstehen. Ich mache noch auf E 2.4.3 f. aufmerksam, wonach Art. 385 Abs. 2 StPO nicht erlaubt, «eine mangelhafte Beschwerdebegründung zu ergänzen. (…) Es ist eine allgemeine Verfahrensregel, dass die Begründung vollständig in der Beschwerdeschrift selbst enthalten sein muss.» Eine nachträgliche Ergänzung oder Korrektur würde auf eine Umgehung von Art. 89 Abs. 1 StPO hinauslaufen.
Dies gilt gemäss 1B_564/2021 E. 4.1 hingegen nicht für die Strafbehörden. Es ist auffällig, dass das BGer die Art. 248 Abs. 2 i.V.m. Art. 89 Abs. 1StPO nicht nennt. Ein Schelm wer dabei böses denkt. Das BGer rechtfertigt die Umgehung der nicht ver-längerbaren gesetzlichen Frist von Art. 248 Abs. 2 StPO auch noch mit dem Grundsatz von Treu & Glauben, obwohl die BA um die Mangelhaftigkeit ihrer Begründung wusste. Da stosse ich an meine intellektuellen Grenzen, aber vielleicht können Sie helfen.
Heute bei Linkedin gelesen:
“Solche Fälle schrecken auf, keine Frage (deshalb finden sie so viel Medienaufmerksamkeit).
Aber ich möchte beliebt machen, das Baader-Meinhof Phänomen nicht ausser Acht zu lassen. Anwälte tendieren – wie alle Menschen – dazu, der Frequenzillusion zu verfallen. Nur: allein weil es ein paar schlimme Fälle gab, heisst nicht, dass das ganze System kaputt ist. Klar, man soll stets daran arbeiten, solche Resultate zu vermeiden, aber deswegen jetzt alles und alle zu verteufeln und in Generalverdacht zu stellen, hilft uns nicht weiter.”
Jim Rogantini, Gerichtsschreiber, Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
Mit Like von Lukas Abegg-Vaterlaus, Law Clerk at Bundesverwaltungsgericht
In dieser Aussage steckt eine bemerkenswerte Arroganz. Das System IST kaputt. In den letzten drei Jahren habe ich allein in meinem engsten Umfeld mehrere Fälle von
– Amtsmissbrauch/Rechtsbeugung
– Urkundenfälschung im Amt
– Falschaussage durch einen Polizisten
– mehrere Strafbefehle ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen
– Statthalter, die die Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht kennen
– Gültige Akteneinsichtsgesuche werden einfach ignoriert.
All dies hat keine Konsequenzen. Das System schützt sich. Die Staatsanwaltschaft weigert sich, gegen den Richter zu ermitteln, der das Hauptverhandlungsprotokoll gefälscht hat, mit der lapidaren Begründung, es sei nicht ersichtlich, warum er oder andere Behördenmitglieder dem Angeklagten hätten schaden wollen (obwohl dies in der Strafanzeige ausführlich begründet wurde, nämlich zur Verdeckung mehrfacher Rechtsbeugung). Im Akt befinden sich genau zwei Dokumente, nämlich die Strafanzeige und der Einstellungsbeschluss. Die Beweisanträge, insbesondere der Vergleich des Protokolls mit der Tonbandaufnahme, wurden schlichtweg ignoriert.
Als der Polizeizeuge einen aktenwidrigen Sachverhalt erfand und ihm vom Beschuldigten unmissverständlich eine strafbare Falschaussage vorgeworfen wurde, brach der Richter die Gegenüberstellung kurzerhand vorzeitig ab und «bereinigte» das Hauptverhandlungsprotokoll um diesen Vorwurf. Im Protokoll heisst es, der Angeklagte habe erklärt, er habe keine weiteren Fragen. Ein anderer Zeuge widerrief in der Hauptverhandlung seine belastende Aussage bei der Polizei und machte eine wahrheitsgemässe entlastende Aussage. Er wurde daraufhin (ohne Gegenüberstellung) entlassen. Die entlastende Aussage wurde aus dem Protokoll gestrichen und der Angeklagte aufgrund der als unwahr widerrufenen Aussage verurteilt.
Auch hier weigert sich die Staatsanwaltschaft zu ermitteln. Bei diesem Prozess war übrigens ein Gerichtsreporter anwesend. Kritische Berichterstattung? Fehlanzeige. Es gab nur die linientreue Predigt à la «Raser kriegen, was sie verdienen».
In einem anderen Fall habe ich für einen Fahrzeughalter Akteneinsicht bei der Kantonspolizei beantragt, um den Fahrer anhand des Fotos identifizieren zu können. Die Kantonspolizei verweigert dies und droht unverhohlen, die Busse ans Statthalteramt weiterzuleiten, wenn nicht auf die Akteneinsicht verzichtet werde, dann werde es teurer. Obwohl der Halter die Busse fristgerecht bezahlte, leitete die Polizei die Akten an das Statthalteramt weiter mit dem Vermerk, der Halter habe das Ordnungsbussenverfahren abgelehnt (wiederum Urkundenfälschung im Amt). Ohne die gesetzlichen Voraussetzungen zu prüfen, erlässt das Statthalteramt vorerst eine Strafverfügung. Selbst wenn dies zulässig wäre, konnte mir noch niemand erklären, welchen Sinn dies haben soll, wenn der Halter das summarische Verfahren offensichtlich ablehnt. Die Rechtsverweigerungsbeschwerde hingegen wird vom Statthalteramt seit fünf Monaten und mehreren Mahnungen nicht behandelt.
Eine Gemeinde ahndet Parkverstösse auf einem ihr gehörenden öffentlichen Parkplatz nach Art. 258 ff. ZPO. Der Halter weist die Gemeinde freundlich darauf hin, dass dies gemäss BGE 148 IV 30 nicht zulässig sei und verlangt gleichzeitig Akteneinsicht. Die Gemeinde interpretiert dies als Einsprache, ohne Akteneinsicht zu gewähren. Das Statthalteramt lädt den Halter zur Einvernahme vor und erlässt anschliessend eine Strafverfügung, die es am Geburtstag des Halters zustellt! Auch hier wird keine Akteneinsicht gewährt. Erst auf Einsprache hin wird das Verfahren schliesslich eingestellt. Der Halter bleibt auf seinem Schaden sitzen. Die Gemeinde hat ihre rechtswidrige Praxis bis heute nicht geändert.
Was ich in dieser Richtung erlebt habe, würde inzwischen Bücher füllen. Es geht in diesem System nicht um Wahrheitsfindung oder ein geregeltes Miteinander. Es geht in erster Linie um Arbeitsvermeidung, Profilierung und Macht. Die Justiz ist eine Show für den Bürger. Es grassiert eine erschreckende Gleichgültigkeit, Empathielosigkeit und sogar die Bereitschaft, Straftaten zu Lasten des Bürgers zu begehen, die dann ungesühnt bleiben. Waffengleichheit” zwischen Justiz und Bürger ist eine Illusion.
Ich habe in vielen, aber nicht in allen Fällen ähnliche Erfahrungen. Bei den staatlichen Durchführungsstellen für Sozialversicherungen will man sich vor allem Arbeit ersparen, hält oft die Rechtsprechung des Bundesgerichts, oft sogar nicht einmal die Weisungen des Bundesamts für Sozialversicherungen ein. Oft scheint das Richtergremium, der Einzelrichter oder die Einzelrichterin die Versicherten möglichst verlieren zu lassen indem Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und Verletzungen der Abklärung des Sachverhalts von Amtes wegen trotz ausdrücklichem Antrag auf Rückweisung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und zu ergänzender Abklärung und Begründung, dass ein formell korrektes Verfahren einem schnelleren Verfahren bevorzugt wird und keine Heilung durch das Gericht gewünscht wird (unvollständig) “geheilt” um den staatlichen Durchführungsstellen für Sozialversicherungen bei künstlichem Unterliegen Kosten für eine Parteientschädigung zu ersparen. Ausdrückliche Anträge gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Kostenfolgen bei solchen Heilungen und zum Anspruch auf Parteientschädigung gemäss dem Verursacherprinzip bei Unterliegen werden in der Urteilsbegründung einfach ignoriert und das Bundesgericht lehnt die unentgeltliche Rechtspflege ab um das Verfahren vor Bundesgericht abzuwürgen, obwohl in der Beschwerde bei Bundesgericht auf einen BGE hingewiesen wird, der bei einem solchen Antrag ausdrücklich eine Begründung verlangt. Die zugesprochene Parteientschädigung wird mit einer formelhaften nichtssagenden Begründung abweichend vom Antrag viel tiefer angesetzt und eine Anfechtung vor Bundesgericht ist quasi aussichtslos, weil sich das Bundesgericht eine Rechtsprechung gezimmert hat, dass die Höhe der Parteientschädigung nicht begründet werden muss und diese deshalb nicht wegen einer Verletzung der Begründungspflicht, sondern nur in ihrer Höhe als Verstoss gegen das Willkürverbot angefochten werden kann, was quasi chancenlos ist. Mit einer solchen Rechtsprechung zur Begründungspflicht kann man sich schön Arbeit vom Leib halten indem man damit Beschwerden abschreckt und man kann wunderbar die Versicherten und indirekt deren Rechtsbeistände auch bei Obsiegen mit Kürzungen der Parteientschädigung finanziell abstrafen und davor abschrecken sich gegen Rechtsverstösse der Durchführungsstellen zu wehren. Wen interessiert schon die Qualität der Arbeit der Durchführungsstellen oder die Wahrheitsfindung, Verfahrensökonomie geht über alles und die Verfahren sollen möglichst wenig kosten. Der Rechtsschutz ist oft nur ein Mäntelchen damit die Versicherten das Gefühl haben man hätte eine Chance. Die lasche Handhabung der Begründungspflicht von Entscheiden der Durchführungsstellen und Gerichte und die Überstrapazierung der antizipierenden Beweiswürdigung durch Ablehnung von Beweisanträgen gekoppelt mit der eingeschränkten Sachverhaltskognition des Bundesgerichts verleiht den Richtern auf kantonaler Ebene eine enorme Macht.
Was die Strafverfolgung in der CH angeht weiss ich nur all zu gut wie’s ist als eigentliches Opfer plötzlich als Täterin geführt zu werden. Was muss den noch alles an Beweismittel herbei geführt werden um endlich einem glauben zu schenken obschon mehrere Berichte belegen das nicht ich eine Straftat beging sondern nach einem massiv niederträchtig und unfairem Angriff ich mir eine Not Op unterziehen musste und jetzt als Beschuldigte, nach mehreren Rechtsmittel Einsprachen vor dem Gericht stehen werde. Gilt in der CH auch die Unschuldsvermutung??